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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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gellendes Geheul, daß ich erschauderte. Unversehens stürzte ein Gespenst auf mich zu, – ich fiel auf meine Knie nieder, – schrie: ›Satana vade retro – apage Satana!‹ Ein nacktes, menschliches Wesen, über und über voll Blut, stürmte an mir vorüber, wobei es in einem fort Wut- und Schmerzensschreie ausstieß. Auf dem Fuß folgten ihm vier fackelschwingende Mönche. Nun hatte ich aber die Tür am Ende des Ganges hinter mir versperrt und wußte also, daß jene Fünf umkehren und abermals an mir vorbeikommen mußten, – an mir, der ich noch immer auf den Knien lag, am ganzen Leibe vor Entsetzen zitternd. Jetzt hatte der Gejagte jene Tür erreicht – Jetzt fand er sie verschlossen und stand nach Atem ringend seinen Verfolgern gegenüber. Ich fuhr herum und hatte nun eine Gruppe vor Augen, welche des Genies eines Murillo würdig gewesen wäre: niemals zuvor hatte ein menschliches Auge eine so vollkommene Gestalt erblickt, wie jene des unglücklichen Jünglings es war. Er verharrte in einer verzweifelten Haltung, den ganzen Körper blutüberströmt. Die vier Mönche hingegen, mit ihren Fackeln, den geschwungenen Geißeln und den schwärzlichen Kutten, erweckten den Anschein einer Gruppe von Teufeln, welche einen verirrten Engel gestellt haben, ja, erinnerten an die unterweltlichen Furien, die einen wahnsinnigen Orest zu Tode hetzen. Ich stürzte vor, den Gejagten zu verteidigen, wurde mit den Verfolgern handgemein, und ließ mir dabei etliche Ausrufe entfahren, welche später, obwohl ich sie halb bewußtlos getan, von den Mönchen mit aller Akkuratesse der ihnen eigentümlichen Bosheit in übertriebener Weise wiedergegeben wurden.
    Ich weiß heute nicht mehr, was dann geschah. Insgesamt lief alles darauf hinaus, daß ich während der folgenden Woche in meiner Zelle eingeschlossen blieb, zur Buße dafür, daß ich es gewagt hatte, dem Strafvollzug des Klosters in den Arm zu fallen. Und die zusätzliche Strafe, welche über den unglücklichen Novizen verhängt wurde, der dem Vollzug widerstanden, ward mit solcher Schwere ausgeführt, daß das Opfer darüber vor Scham und Seelenqual von Sinnen kam. Er verweigerte alle Nahrungsaufnahme, fand auch keinen Schlaf mehr und starb in der achten Nacht nach jener Szene, welcher ich als Zeuge beigewohnt hatte. Er wurde unter der Kirche des Klosters beigesetzt, und der Pater Superior in eigener Person hielt ihm die Totenpredigt: jener Superior, auf dessen ausdrückliches Geheiß oder mit dessen Erlaubnis, zumindest aber unter dessen stillschweigender Duldung der nunmehr Tote in den Wahnsinn getrieben worden war.
    Nach diesem Ereignis wuchs mein Ekel bis zu einem unermeßlichen Grad an. Hatte ich das Klosterleben bisher verabscheut, so begann ich es nunmehr zu verachten. Und jeder menschlich empfindende Richter weiß, daß Verachtung weit schwerer getilgt werden kann denn Abscheu. Es sollte jedoch nicht lange währen, und beiden Empfindungen wurde in mir ein neues Betätigungsfeld eröffnet. Das Wetter war nämlich in jenem Jahr erstickend heiß, und so brach in dem Kloster eine ansteckende Krankheit aus: Tag für Tag mußten zwei, drei neu von ihr Befallene in die Krankenzimmer gelegt werden, und der Pater Superior ließ mich zu sich rufen, um mir mitzuteilen, er wünsche, daß ich in den Krankenzimmern Dienst tue. – In dem ersten Krankenbett, an das ich geriet, lag der bejahrte Mönch, mit welchem ich am Vorabend jenes Wunders, an das ich noch immer fest glaubte, die lange Unterredung gehabt hatte. Ich machte mich erbötig, ihm nach besten Kräften beizustehen. Er aber antwortete bloß: ›Ich begehre nichts, als zu sterben.‹
    ›So seid Ihr also Eurer ewigen Seligkeit durchaus gewiß?‹
    ›Darüber weiß ich so gut wie nichts.‹
    ›Ihr seht mich bestürzt!‹
    ›Was macht das – nun bin ich am Rande des Abgrunds – nun steht mir der Absturz bevor – und ob nun all die, so um mein Bett herumstehen, ihren Schreckensschrei ausstoßen oder nicht, mir ändert es wenig daran.‹
    ›Und dennoch habt Ihr die Bereitwilligkeit zu sterben geäußert?‹
    ›Bereitwilligkeit! Oh Unverstand! Ich bin eine Uhr, die sechzig Jahre lang die Zeit in ihre stets gleichen Minuten und Stunden geteilt hat. Sollte dies Uhrwerk nicht endlich nach einem Aufziehen verlangen dürfen? Ich bin der Welt müde geworden und begehre nach Abwechslung – nach sonst nichts.‹
    ›Aber nicht nur vor mir, auch vor der gesamten Bruderschaft schienet Ihr völlig dem mönchischen Dasein

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