Melmoth der Wanderer
ergeben.‹
›Dies war nur Schein, und der Schein war Lüge –, mein ganzes Leben war Lüge –, ja ich selbst war nur Lüge. Vergib einem Sterbenden diese letzten Augenblicke der Wahrheit! Sie, das darf ich wohl annehmen, können mich nicht verwerfen noch Lügen strafen. Ich habe das mönchische Leben gehaßt.‹
›Und seid aber in mich gedrungen mit nahezu göttlicher Beredsamkeit, welche überdies und vor meinen Augen durch ein Wunder bekräftigt wurde?‹ Er lachte, doch liegt im Lachen eines Sterbenden etwas ganz besonders Entsetzliches, weil er an der Grenze zweier Welten steht und jede davon Lügen zu strafen scheint, indem er den Freuden der einen zugleich mit den Hoffnungen der anderen das Wort redet und so diese mit jener betrügt.
›Dein Mirakel – ich habe es selbst bewirkt‹, sagte er mit aller Ruhe und – ach! – auch dem Triumph eines alles reiflich berechnenden Betrügers. ›Ich kannte den Behälter, aus welchem die Quelle gespeist wird und habe ihm im Einverständnis mit dem Pater Superior noch im Laufe der Nacht leergepumpt. Es war ein hartes Stück Arbeit, aber wir lachten bei jedem Pumpenschlag über deine Leichtgläubigkeit.‹
›Aber der Baum –‹
›Da war ich im Besitz einiger chemischer Geheimnisse – ich habe nicht mehr die Zeit, sie dir zu enthüllen –, ich besprühte das Laubwerk des Pappelbaumes zur Nacht mit einer gewissen Flüssigkeit, so daß dessen Blätter am Morgen den Anschein erweckten, als wären sie verdorrt – aber geh in vierzehn Tagen wieder hin, und du wirst sie grünen sehen wie eh und je.‹
›Dies sagt Ihr in Eurer Sterbestunde?‹
›Jawohl.‹
›Und aus welchem Grunde habt Ihr mich so betrogen?‹
Diese Frage machte ihm einige Zeit zu schaffen. Schließlich aber richtete er sich in seinem Bett fast bis zur Sitzstellung auf und rief: ›Weil ich ein Mönch war und für meine Betrügerei ein Opfer brauchte, um meinen Stolz zu befriedigen! Und Gefährten meines Elends, um dessen Bösartigkeit zu sänftigen!‹
Bei diesen Worten huschte ein Aufleuchten von solcher Bosheit über die Züge dieses sterbenden Schurken, daß mich das Entsetzen durchfuhr, und ich mich für kurze Zeit von dem Bett entfernte. Nachdem ich aber wieder hinzugetreten und einen Blick auf den Daliegenden geworfen, sah ich, daß seine Augen geschlossen, seine Hände ausgestreckt waren. Ich stieß ihn an, richtete ihn auf, doch er war tot, und was er zum Schluß gesagt hatte, waren seine letzten Worte gewesen. Der Ausdruck seiner Züge spiegelte seine seelische Physiognomie wider: der Tote war kalt und bleich, und noch immer lag es wie ein eisiger Hohn um den Schwung seiner Lippen.
Ich stürzte aus dem Krankenzimmer. Wie allen anderen, welche den Kranken aufwarteten, war auch mir aufgetragen, den Garten nur außerhalb der gestatteten Stunden aufzusuchen, wohl aus dem Grunde, die Gefahr einer Ansteckung herabzusetzen, und ich war nur zu gerne bereit, mir diese Weisung zunutze zu machen. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen, in mich hinein zu horchen – doch beides schlug mir fehl. Vielleicht aber ist’s eben diese Stille der Seele, dies Verstummen all der klagenden Stimmen unseres Leides, darin wir recht eigentlich dem Atem Gottes bereit sind. Meine Phantasie wandelte mir plötzlich den hehren, unermeßlichen Himmelsraum zu einer einzigen Kirche, die Bilder der Heiligen verblaßten mir vor den Augen, wie ich da den Blick zu den Sternen erhob, und noch der Altar, über welchem die Kreuzigung des Weltheilands dargestellt war, wurde farblos vor meinem geistigen Auge, dieweil ich zum Monde emporblickte. Ich fiel auf die Knie, nicht wissend, zu wem ich nun beten sollte, doch zum Gebet bereit wie noch niemals zuvor.
In eben diesem Moment wurde meine Kutte berührt. Ich zuckte zusammen, als hätte man mich über einem verbotenen Tun ertappt und sprang auf. Neben mir stand eine dunkle Gestalt, welche mit undeutlicher, verstellter Stimme zu mir sagte: ›Dies sollst du lesen.‹ Dabei drückte der Fremde mir ein Schreiben in die Hand. ›Ich trage es schon seit vier Tagen in meine Kutte eingenäht mit mir herum. Tag und Nacht bin ich hinter dir her. Aber es bot sich bis jetzt keine Gelegenheit, immer warst du in deiner Zelle oder auf dem Chor oder im Krankenzimmer. Zerreiß es zu Fetzen, wirf die Schnitzel in den Brunnen oder verschlucke sie lieber , nachdem du den Brief gelesen hast. – Und jetzt Gott befohlen! Ich habe alles für dich gewagt.‹ Der Sprecher huschte davon.
Im
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