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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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Übelkeit zu wandeln begann, es mir unmöglich gemacht. Bei dieser Komplikation von körperlichem und seelischem Leid klingt es kaum glaublich, Senor, ist aber dennoch wahr, daß meine größte Qual mir von der Leere verursacht wurde, von dem Mangel an Beschäftigung, welcher ja mit meiner schaurigen Lage unausweichlich verbunden war. Ich hatte schon viele, nahezu unerträgliche Leiden überstanden, dies aber, ich fühlte es, überstieg meine Kräfte. Und, Ihr mögt mir glauben, Senor, nachdem ich mit solcher Qual etwa eine Stunde lang (so weit ich dies abschätzen konnte) gerungen hatte, wobei es mir unbeschreiblich elend zumute gewesen war, erhob ich mich und bestürmte meinen Gefährten, mir doch jene Umstände, auf welche er angespielt hatte, und die mit unserem gräßlichen Aufenthaltsort zusammenhingen, erzählen zu wollen. Seine grausame Gutmütigkeit griff diesen Vorschlag sofort auf, und obwohl ich deutlich sehen konnte, daß sein kräftiger Körper weit mehr unter den Anstrengungen der Nacht und den Entbehrungen des Tages gelitten hatte als mein vergleichsweise schwächerer, machte mein Gefährte sich mit grimmiger Bereitwilligkeit daran, meiner Bitte nachzukommen. ›Eine Bestimmung der Klosterordnung lautet‹, so begann er, ›daß die besonders argen Verbrecher etwas auf sich zu nehmen hätten, was man eine Sonderbuße nennt, also nicht nur all die Schmach und Unbill, welche das gewöhnliche Klosterleben mit sich bringt (und zum Wohl aller Bußfertigen herrscht daselbst ja keinerlei Mangel an so ergötzlicher Zerstreuung), sondern auch noch das Amt des Exekutors, wann immer eine schwerere Bestrafung zu vollziehen oder ihr beizuwohnen ist. Nun erwies man mir die Ehre, mich für diese Art des erholsamen Zeitvertreibs als besonders geeignet anzusehen, und es mag sein, daß man mir damit gar nicht so sehr schmeichelte. Schon nach wenigen Tagen ereignete sich ein besonderer Fall in dieser liebenswerten Gemeinschaft, in die aufgenommen zu sein ich nun das Glück hatte, und deren Verdienste ja unzweifelhaft auch du zu würdigen weißt. Man begehrte von mir, ich solle mich eines jungen Mönches aus vornehmer Familie annehmen, welcher erst seit kurzem die Gelübde abgelegt hatte, seinen Pflichten aber mit einer so mechanischen Pünktlichkeit nachging, daß es der Bruderschaft scheinen wollte, sein Herz wäre beständig mit anderen Dingen befaßt. Nun, ich war mir alsbald im klaren über die Art meines Geschäfts. Aus der Weisung, mich des jungen Mönches anzunehmen , schloß ich, daß ich ihm ab sofort mit der tödlichen Feindschaft zu begegnen hätte. Das einzige Verbrechen dieses jungen Mönches bestand nun darin, daß er sich dem Verdacht ausgesetzt hatte, er hege eine irdische Leidenschaft im Herzen. So erweckte er bisweilen den Anschein, als wäre sein Herz gebrochen, an anderen Tagen hingegen erstrahlten seine Augen in einem Hoffnungsschimmer, welcher der Bruderschaft Böses schwanen ließ.
    Nachdem einige Zeit vergangen war, trat ein junger Novize in das Kloster ein. Vom Zeitpunkt seines Eintritts an ging ein höchst überraschender Wandel mit unserm jungen Mönch vor. Er und der junge Novize waren alsbald unzertrennliche Gefährten – und in solcher Anhänglichkeit lag etwas Suspektes. Freundschaften werden in den Klöstern ja häufig genug bis zum Äußersten getrieben, dies hier jedoch glich schon allzusehr der Liebe. Zum Beispiel enthalten gewisse Stellen der in der Kirche gesungenen Psalmen einen verdeckten Sinn. Beim Singen solcher Passagen wandten die beiden sich stets einander zu und gaben ihren Stimmen einen Klang, welchen man unmöglich mißverstehen konnte. Wurde über den einen nur die leichteste Strafe verhängt, gleich machte der andere sich erbötig, diese auf sich zu nehmen. Wurde einmal ein Tag freigegeben, so waren die Gaben, welche der eine in seiner Zelle empfangen, unfehlbar in des andern Zelle vorzufinden. Mehr bedurfte es nicht. Ich hatte hier ein verschwiegenes Glück vor Augen, welches jenen das größte Unbehagen bereitet, welche nicht daran teilhaben können. So wurde meine Wachsamkeit verdoppelt und durch die Entdeckung eines Geheimnisses belohnt – eines Geheimnisses, welches ich weiterzugeben und daraus ich meine Schlußfolgerungen zu ziehen hatte.
    Eines Abends, als der junge Mönch und sein geliebter Novize sich wieder einmal im Garten ergingen, pflückte der erstere einen Pfirsich, welchen er sofort seinem Herzensschatz anbot. Dieser nahm die Gabe mit einer Geste

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