Melmoth der Wanderer
entgegen, welche für mich etwas Peinliches an sich hatte, weil sie den Anschein erweckte, eine Weibsperson lege ihre Erkenntlichkeit an den Tag. Nachdem ich das gesehen hatte, ging ich noch an dem Abend zum Pater Superior. Auf seine Anweisung nahm ich auf dem Gang im Dunkeln Aufstellung. In jener Nacht nun war es mir plötzlich, als hätte ich einen Schritt vernommen, und bald danach hörte ich jemand an mir vorüberschleichen. Ich konnte sogar den bebend unterdrückten Atem dieser Person vernehmen. Und nur wenige Sekunden später hörte ich eine Zellentür aufgehen und wußte, daß dies die Tür des jungen Mönches war. Nun hatte ich aber eine kleine Kette bei mir, mit welcher ich den Handgriff der Zellentür mit jenem der benachbarten auf eine Weise verbinden konnte, die es unmöglich machte, beide Türen von innen zu öffnen. Dies getan, hastete ich zu dem Pater Superior, von einem Stolz geschwellt, von welchem sich wohl nur einer, der wie ich im Kloster eine geheime Schuld so erfolgreich aufgespürt hat, den rechten Begriff zu machen vermag. Und ich glaube, daß auch der Pater Superior sich solchem Wohlgefühl hingab, während er wach in seiner Zelle wartete, umgeben von jenen vier Mönchen , derer du dich ja noch entsinnst.‹
Ich erschauderte bei dem Gedanken daran.
›Ich überbrachte meine Neuigkeit, und alsbald standen wir vor der angegebenen Zellentür, wobei ich triumphierend auf die noch immer vorgelegte Kette wies, obschon bei unserem Hinzutreten von drinnen eine leichte Bewegung wahrnehmbar wurde, welche uns anzeigte, daß jene beiden Wichte schon um ihre Gefahr wußten. Ich löste die Kette von der Tür, der Pater Superior stürzte mit seinen Begleitern in die Zelle und ich war’s, der ihnen dabei leuchtete!
Du kannst dir die nun folgende Szene leicht ausmalen. Freilich muß ich hier dem Pater Superior, wenn auch widerstrebend, Gerechtigkeit widerfahren lassen. Er war ein Mann (natürlich bloß als Folge seines mönchischen Empfindens), der dem Verkehr zwischen den verschiedenen Geschlechtern so ahnungslos gegenüberstand wie dem Unterschied zwischen irgendwelchen Lebewesen einer anderen Art. Die Szene, welche er nun erblickte, kann ihn also nicht stärker empört haben als der Anblick so abscheulicher Liebesbräuche, wie sie etwa die Paviane oder die Hottentottenweiber, auf dem Kap der Guten Hoffnung pflegen. So stand er in der Tat nicht minder erstaunt im Angesicht zweier menschlicher Wesen verschiedenen Geschlechts, welche es wagten einander gegen jede klösterliche Ordnung zu lieben, so schrak er vor solchem Anblick nicht weniger zurück, als hätte er einer jener entsetzlichen Vereinigungen des Fleisches beiwohnen müssen, welche ich eben angedeutet habe. Hätte er statt dieser Liebesszene jenen fürchterlichen Knoten giftgeschwollener Vipern erblickt, welcher als ein Unterpfand aller menschlichen Bosheit und Gottesfeindschaft gilt, er hätte kein größeres Entsetzen zur Schau tragen können, – und zu seiner Rechtfertigung sei gesagt, daß er tatsächlich empfand, was er da zur Schau trug. Ich hingegen weidete mich an der Erniedrigung dieses abtrünnigen Mönches und dieses Novizen, – ich genoß die leidenschaftliche Empörung des Pater Superior, – ja ich fühlte, wie sie doch alle nur schwache Menschen waren wie ich selbst.‹
Er holte tief Atem und fuhr fort: ›Ich will jetzt wahrhaftig nicht all der Einzelheiten gedenken, durch die man diesem armseligen Paar falsche Hoffnungen auf das Gelingen seiner Flucht aus den Mauern des Klosters in den Kopf gesetzt hatte. So sei dir genug, daß dabei mir die Hauptrolle zugedacht war und daß ich die beiden durch eben jene Gänge geleitete, welche heute nacht auch du durchschritten hast. Dabei zitterten diese Elenden bei jedem Schritt und waren doch voll der Segenswünsche für mich. Auch war ich ...‹
›Halt ein‹, schrie ich, ›du Schurke! Dies ist ja bloß mein eigener Weg, den du mir da so Schritt für Schritt beschreibst!‹
›Wie?‹ gab er unter grausamem Auflachen zurück. ›So glaubst du wirklich, ich wolle dich bloß hinters Licht führen? Und hättest du auch recht – was hülfe dir dann schon dein Argwohn, da du doch ganz in meine Macht gegeben? Das halbe Kloster könnt’ herbei ich rufen, um dich im Augenblick festzusetzen, – mein Arm könnte dich an die Wand nageln, damit die mörderischen Hunde droben, sobald mein Pfiff ertönt, sich auf dich stürzten, um dir ihre Fänge ins Fleisch zu schlagen. Du aber fändest
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