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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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solcher Jugend ohne Beispiel dasteht, einen Gefährten akzeptiert, nein, sich an ihn gehängt hat, obwohl dies doch den Bruch auch seiner Gelübde zur Folge gaben mußte? Und wäre ich damals nichts anderes gewesen als mit Niedertracht und Schuld geschlagen – war es an dir, die Schwärze meiner Sünden noch zu verdoppeln, indem du ihnen auch noch jene deines Sakrilegs und deiner Abtrünnigkeit beigeselltest? Und was den Mord betrifft – wohlan, ich bin ein Vatermörder! Du aber hast mit kalten, wohldurchdachten Stößen die Herzen deiner beiden Eltern durch und durch gebohrt – und hast es langsam, Zoll für Zoll, getan. Gegen dich bin ich so unschuldig wie ein neugeborenes Kind! Dein Vater und deine Mutter haben sich getrennt, – sie ist in ein Kloster eingetreten, um dort vor der Welt ihre Verzweiflung und ihre Schande ob deiner unnatürlichen Aufführung zu verbergen. – Dein Vater aber stürzt sich bald in den Abgrund der Wollust, bald in jenen der Reue, und verzehrt sich in beiden. Ich stehe als ein verdorrter Baum vor dir, ich bin ins Mark getroffen bis zur Wurzel – und dorre ganz allein für mich dahin. Du aber bist der Upasbaum, von dessen Pfeilgift alles Leben schwindet und verdirbt, so Vater, Mutter, Bruder wie zuletzt auch du selbst! Denn jenes Gift, das nimmer Nahrung findet, es frißt sich zuletzt nach innen, höhlt dich aus und holt sich noch dein eigenes Herz zur Beute. Du ganz verkommener Lump, der du verdammt bist, von aller Menschenliebe ausgeschlossen, ja selbst von der Erlösung durch den Heiland – was sagst du jetzt? Was kannst du jetzt noch sagen?‹
    Ich aber fragte bloß: ›Ist Juan denn wirklich tot? Und bist es du, der ihn ermordet hat? Bist du es denn wirklich? Ich glaube dir jedes Wort, es mag schon stimmen, ich muß ein fürchterlicher Sünder sein – allein, Juan, ist er nun wirklich tot?‹ Mein Gegenüber schwieg sich aus, doch war mir sein teuflisches Schweigen beredt genug. ›Und meine Mutter, sagst du, nahm den Schleier?‹ Er nickte. ›Und wie steht’s um den Vater?‹ wollt’ ich wissen. Da grinste er. Ich aber schloß die Augen. Ich konnte dieses Grinsen nicht ertragen.
    Ein paar Sekunden danach erhob ich wieder das Haupt und sah, wie er mit einer gewohnheitsmäßigen Bewegung (mehr kann es nicht gewesen sein) das Kreuzzeichen über sich schlug, weil draußen auf dem Gang irgendwo eine ferne Glocke angeschlagen wurde. Und sobald er mit seiner monströsen Profanierung des Heiligen Zeichens fertig war, heftete ich meine Augen mit einem Ausdruck auf ihn, der nicht mißdeutet werden konnte. Und der Fixierte verstand denn auch.
    ›Nichtswürdiger Schurke!‹ schrie er –›Wie? So glaubst du wirklich, dies alles sei für eure Messen und all den andern Mummenschanz gewesen? Für die Vigilien, für euer Fasten, für das gemurmelte Herunterbeten der sinn- und trostlos faden Rosenkränze? Für den Verlust des Schlafs aus lauter Angst, die Zeit der Morgenandacht zu verschnarchen? Nur dafür, um vom Strohsack aufzukriechen, vor Kälte starr, und hinterher die Steine der Kirche zu beknien – zu beknien, bis diese Knie darin noch Wurzeln schlügen, so daß du glauben magst, das ganze Pflaster erhöb’ mit dir sich, so du dich erhöbest? Glaubst du, es war, um Predigten zu hören, an die noch nicht einmal der Prediger glaubte – Gebete, hingegähnt von trägen Lippen, davon kein Wort des Glaubens je gekommen? Oh, welch unauflösliche Verquickung von Gemeinheit und Hochmut, von Dummheit und Anmaßung, und dies alles unter dem fadenscheinigen Mantel einer Scheinheiligkeit, so schäbig und abgetragen, daß die nackte, eingeborene Wesensart durch alle Löcher blickte und von jedermann leicht bemerkt werden konnte, so weltlich, sinnlich, teuflisch, wie sie war! War es nur deshalb, um unter solchem Abschaum zu leben, bei dessen Anblick sogar ich mich beglückwünschte, ich , der so durch und durch verdorben war, doch wenigstens nicht so zu sein wie diese, nicht so reptilhaft auf dem Bauch zu kriechen, ohn’ alle Leidenschaft, ein bloßes Ding aus Kleidern und aus eingelernten Formen, bald im Ornat, bald in zerschlissner Kutte, mit Ave und mit Credo auf den Lippen, und aufgedunsen von Verworfenheit, und hingeduckt im Schleim des Schleichertums tagtäglich Zoll für Zoll das Fundament der eignen Macht hinauf und höher schraubend, der hohen Stellung immer auf den Fersen mit der Geschmeidigkeit des Pfründenjägers durch allen Unflat, Dreck und Kot und Schleim? – War diese ganze

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