Melmoth der Wanderer
dieses Hauses nehmen und mit äußerster Strenge bestrafen würde. Mein wiederholtes Fragen ›Wo bin ich? Was ist dies für ein Haus, in dem so geheimnisvolle Vorschriften gelten?‹ beschied er, indem er flüsterte, seines Amtes sei, Weisungen zu erteilen, nicht aber, Antworten zu geben. Dies gesagt, machte er sich davon.
Wenig später besuchte mich mein finsterer Kompagnon. Alle Erinnerungen an unser letztes Beisammensein stürmten gleichzeitig auf mich ein. Ich fuhr empor und rief: ›So sind wir frei?‹
›Schscht! Einer von uns ist’s – doch hüte deine Stimme!‹
›Wohlan, dies hör’ ich schon zum zweitenmal, allein, was soll uns das verschwörerische Flüstern? Was zwingt uns denn dazu? Wenn ich in Freiheit bin, so sag es mir, sag mir vor allem, ob mein Bruder Juan die letzte Schreckensstunde überlebt hat, – mein Geist hat kaum noch zu sich selbst gefunden. So sag mir, wie mein Bruder sich befindet.‹
»Bestens. Denn kein Fürstensohn im Land ruht unter einem prächtigeren Sarkophag. Marmorne Pfeiler dienen ihm zum Schmuck. Die Banner wehten, Federbüsche nickten, auch wurde ihm im Überfluß aufgespielt, doch schien er der Musik nicht recht zu achten. Er lag bloß ausgestreckt auf Gold und Samt, doch konnte er das Gepränge nimmer spüren. Um seine kalten Lippen lag’s wie Hochmut, wie eine unbeschreibliche Verachtung wegen des geschäftigen Treibens rings um ihn. – Doch war ihm Demut auch im Leben fremd.‹
›Im Leben!‹ schrie ich auf. ›So ist er tot ?‹
›Das fragst du noch? Du weißt doch ganz genau, wer jenen Stoß geführt? Da ist kein Opfer, das je mich in Verlegenheit gebracht!‹
›Du warst es – du?‹ Und sekundenlang fühlte ich mich von einer wahren Sturzsee aus Blut und Feuer überschwemmt. Dann wurde ich erneut vom Wahn umfangen und weiß nur noch, daß ich Flüche und Verwünschungen hervorstieß, die zu erfüllen selbst das göttlichste Rachebedürfnis nicht ausgereicht hätte. Ich wäre in meiner Raserei wohl bis zum völligen Versiegen meines Verstandes fortgefahren, hätte diesem Fluchen nicht ein überwältigendes Gelächter ein plötzliches Ende gesetzt.
So verstummte ich, wie erschlagen von solchem Lachen. Ich hob den Blick zu ihm, der so gelacht, als erwartete ich, ein anderes Wesen vor mir zu sehen – allein, er war derselbe geblieben. ›Und ihr beide in eurer Vermessenheit, ihr beide habt euch eingebildet, der Wachsamkeit eines Konvents Widerpart bieten zu können? Das nenne ich mir die rechten Widersacher, um gegen eine Ordnung anzukämpfen, an der die Mächte von Kaisern, Königen zuschanden wurden! Ihr beide aber, als ein Geziefer an ein einziges Rad des Ungeheuern Räderwerks geklebt, habt euch erdreistet, seinen Lauf zu hemmen, und seid nun nach Gebühr zu Staub zermalmt!‹
Der erste Gedanke, welcher mich jetzt durchfuhr, war ein durchaus naheliegender: nämlich daß dieser, der da auf mich einsprach, nicht der Mann sei, für den ich ihn zunächst gehalten, nicht der Gefährte meiner Flucht aus dem Kloster. So nahm ich den letzten Rest meiner Vernunft zusammen, mich dessen zu vergewissern. Einige wenige Fragen mußten diesen Punkt ja klären, vorausgesetzt, daß ich Kraft genug aufbrächte, diese Fragen auch zu äußern. So frug ich denn: ›Warst du es nicht, der mir zur Flucht verholfen hat? Warst du es nicht, der ... Was aber hat dich dann zu jenem Schritt bewogen, dessen Durchkreuzung nun dein Herz so sehr erfreut?‹
›Eine Belohnung.‹
›So hast du mich nicht verraten und verkauft, und trumpfst noch auf ob deiner Schurkerei? Was hat dich nur dazu gebracht?‹
›Eine höhere Belohnung. Dein Bruder gab mir Gold, doch das Kloster bot mir die Rettung meiner Seele an, und dies Geschäft legte ich nur zu gern in die Hände des Klosters, weil ich selbst ja durchaus ungeeignet dafür war.‹
›Erlösung also durch Verrat und Mord?‹
›Verrat und Mord, – das sind sehr harte Worte. Laß uns vernünftig miteinander reden: War dein Verrat nicht viel abscheulicher? Du hast deine Gelübde widerrufen – hast vor Gott und den Menschen erklärt, daß die Worte, welche du im Angesicht beider gesprochen, nichts als ein kindisches Geplapper gewesen. Dann hast du deinen Bruder dazu verleitet, seiner Eltern und seiner Pflichten zu vergessen – hast’s gelitten, daß er gegen den Frieden und die Heiligkeit der mönchischen Ordnung intrigierte. Und du sprichst von Verrat? Wer war’s denn, der mit einer Verhärtung des Gewissens, wie sie bei
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