Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
Vom Netzwerk:
Plage nur für dies?‹ – Er schwieg, von der Erregung halb erstickt.
    Dieser Mensch, er wäre wohl unter besseren Umständen auch ein besseres Geschöpf geworden, weil in ihm wenigstens die Verachtung für alles Gemeine des Lasters mit jener wilden Begier auf dessen Grausamkeit gepaart war. ›War’s nur für dies‹, fuhr er fort, ›daß ich mich hergegeben, all ihre finstre Arbeit zu verrichten? Ich habe keine Frömmigkeit, ich glaube an keinen Gott, ich bete kein Credo nach. Allein, ich bin besessen von der abergläubischen Furcht vor dem etwas, das nach dem Tod kommt, und solche Furcht sucht sich ihre aberwitzige und hoffnungslose Linderung in den Leiden der andern, sobald erst unsre eigene Leidensfähigkeit erschöpft ist, oder (und weitaus häufiger) sobald wir nicht willens sind, selber zu leiden. So bin ich denn überzeugt, daß meine eigenen Verbrechen gelöscht werden durch all jene fremden, die ich zu bestrafen vermag.
    Hatte ich so nicht allen Grund, dich zum Verbrechen zu treiben, nicht allen Grund, auf deine Bestrafung zu achten, ja sie zu verschärfen? Jede glühende Kohle, die ich auf deinem Haupt versammeln konnte, bewirkte ja die Hinwegnahme einer von denen, welche für mich in alle Ewigkeit schon bereit lagen! Jeder Tropfen Wasser, welchen ich deiner brennenden Zunge vorenthalten, wird mir, dies hoffe ich, vergolten werden, das schweflige Feuer zu löschen, in das ich eines Tages geworfen werden muß! Jede Träne, jeder Seufzer, die ich dir erpresse, werden, dessen bin ich gewiß, als meine eigenen Tränen und Seufzer von mir genommen sein! – Du magst daran ermessen, wieviel mir jede Träne, jeder Seufzer von dir wie von jedem anderen Opfer wert ist. Der Mann in jener alten Geschichte, er schauderte und hielt inne beim Anblick der ausgebreiteten Arme seines Kindes – und konnte den Streich nicht führen –, der wahre Büßer aber stürmt über dies Knäuel aus Mitleid und Schmerz hinweg, rafft die zerfleischten Glieder seines Opfers mit einer Hand, die keinen Pulsschlag kennt, zusammen, und hält sie mit fühllosem Herzen der Gottheit als ein Versöhnungsopfer entgegen. So ist meine Religion noch immer die beste – ist jene der äußersten Feindschaft gegen alle Geschöpfe, deren Qual meine eigenen Leiden mildern könnte. Gesehen in so freundlichem Licht, wird deine Schuld zu meiner Tugend. Bist du erst gerichtet, bin ich gerettet, dies sei mir genug. Wie ruhmreich und ohne Beschwernis richten wir doch auf den zertretnen und begrabenen Hoffnungen unseres Nächsten das Siegespanier der eigenen Errettung auf! Wie subtil und sublim ist doch jene Goldmacherkunst, welche uns das Eisen des Ungehorsams und der Reuelosigkeit eines Mitmenschen zu dem köstlichsten Gold wandelt, uns selber loszukaufen! So habe ich im wahrsten Sinne des Wortes meine Errettung mit deinem Entsetzen ins Werk gesetzt.
    Dies hoffend, gab ich mir den Anschein, als wollte ich deines Bruders Plan unterstützen, während ich denselben schon Zug um Zug dem Pater Superior mitteilte. Und in der nämlichen Hoffnung nahm ich es auch auf mich, jene nichtswürdige Nacht und den darauffolgenden, verrotteten Tag in dem Verlies mit dir hinzubringen, weil unsere Flucht, bei Tage unternommen, sogar einen Menschen von deiner Leichtgläubigkeit in Argwohn versetzt hätte. Dabei befühlte ich die ganze Zeit jenen Dolch, den ich am Busen trug, und welchen ich für ein Vorhaben empfangen, das ich im weiteren Verlauf der Dinge bestens ausgeführt habe. Was aber dich betrifft, so stimmte der Pater Superior deinem Fluchtversuch lediglich in Ansehung der größeren Macht zu, die er danach über dich besitzen würde. Er und die Bruderschaft waren deiner müde geworden, weil sie erkennen gemußt, daß aus dir nimmermehr ein Mönch werden könne. Dein Einspruch hatte Schande über das Kloster gebracht, deine weitere Gegenwart war ihnen Vorwurf und Last zugleich. Du warst ihnen ein Dorn im Auge geworden, und so hielten sie dafür, daß du dich besser zum Opfer als zum Bekehrten eignetest. Wohl gesprochen! – Hier bist du in der Tat weit besser am Platze als dort, hier, von wo es keinerlei Entrinnen mehr gibt.‹
    ›So sag mir, wo ich bin?‹
    ›Du bist in den Kerkern der Heiligen Inquisition.‹«

ELFTES KAPITEL
    Oh, quält mich länger nicht, ich will gestehn.
    Heinrich der Sechste
     
    – Hörst du den Tadel ruhig an und schweigst?
    – Sie weckt mir des Gewissens eigne Stimme!
    Komödie der Irrungen

     
    »Ihr müßt Euch vor Augen führen,

Weitere Kostenlose Bücher