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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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gerettet!‹ rief Juan, der mir gefolgt war.
    › Doch bist du’s auch?‹ so brach’s mit Donnerstimme aus dem Dunkel.
    Juan, den Fuß schon auf dem Wagentritt, begann zu schwanken, neigte sich hintüber – und stürzte schwer zu Boden. Ich sprang zu ihm hinaus, ich stürzte gleichfalls – und lag auf seinem Körper. Gebadet in des Bruders Blut.«

ZEHNTES KAPITEL
    Menschen, der Menschheit zum Feinde,
    Und die verzweifeln an der Gnade. –
    Scotts Marmion

     
    »Ein einziger, grauenhafter Moment gellender Seelenpein – ein stechendes Licht, ein blendender Feuerstrahl, welcher mir Leib und Seele zu verzehren schien – ein Dröhnen, das mir Ohr und Hirn durchfuhr, als erschallten die Posaunen des Jüngsten Gerichts und scheuchten die Sinne derer, die da in ihrer Schuld geschlafen, zur letzten Verzweiflung auf – ein einziger Moment, in dem sich alles erdenkliche Leid zu einem Kugelblitz des Schmerzes ballt, der sich im Schlag erschöpft, den er geführt, – solch ein Moment ist es, den ich heute noch weiß. An anderes erinnere ich mich nicht.
    Ich fand mich auf einem Bett liegend, welches sich zwar von jenem in meiner Klosterzelle nicht sonderlich unterschied, jedoch war das Gemach völlig anders. Es war viel geräumiger und ganz mit Läufern ausgelegt. Auch gab es hier kein Kruzifix, kein Heiligenbild, noch auch einen Weihwasserkessel. Ein Bett, ein grober Tisch mit aufgesetzter, brennender Lampe, sowie ein Gefäß mit Waschwasser – dies war alles. Ein Fenster gab es nicht. Die eisernen Türbeschläge aber, die in dem Lampenlicht scharfe und irgendwie bedeutsame Schatten warfen, zeigten mir an, daß dieser Ausgang bestens gesichert war. Ich stützte mich auf meinen Arm und starrte rings um mich mit der Besorgnis dessen, der befürchtet, daß schon die geringste Bewegung den Zauber brechen und den Schauenden wieder ins Dunkel zurückstürzen lassen könnte. Und in eben diesem Moment brach die Erinnerung an all das Durchlebte wie ein Blitzstrahl über mich herein. Ich stieß einen Schrei aus, welcher mit dem Atem auch das Leben aus mir zu ziehen schien und sank auf das Bett zurück – zwar nicht von Sinnen, jedoch bis zum Äußersten erschöpft. Ich sah im Augenblick jedes Begebnis mit einer Deutlichkeit vor mir, als wäre ich tatsächlich darein verstrickt: meine Flucht, meine Rettung, meine Verzweiflung. Ich fühlte Juans Umarmung, und dann die Nässe seines Bluts. Sah seinen Blick sich in Verzweiflung kehren, bevor die Augen sich für immer schlossen, und stieß aufs neue einen Schrei hervor, wie er in diesen Mauern wohl noch nie vernommen worden.
    Bei diesem neuerlichen Schrei ging die Tür auf, und eine Gestalt trat ein, welche in eine Kutte gehüllt war, wie ich sie bislang noch nie gesehen hatte. Die Person trat an mein Lager und bedeutete mir durch Zeichen, daß ich strengstes Stillschweigen zu beachten hätte. Und in der Tat, nichts hätte dies Verlangen stärker zum Ausdruck bringen können als der Umstand, daß der Herzutretende auch sich selbst kein Wort gestattete. So starrte ich dieser Erscheinung nur wortlos entgegen – und solch stummes Erstaunen rief den Effekt des augenscheinlichen Gehorsams hervor. Der Unbekannte zog sich denn auch alsbald zurück, und ich begann mich zu fragen, wo ich mich denn befinden mochte? War ich unter die Verstorbenen geraten? Oder in irgendwelche unterweltlichen Regionen der Stummen, Stimmlosen, wo keine Luft den Schall weiterträgt, kein Echo ihn zurückwirft, und das dürstende Ohr vergebens seiner süßesten Nahrung harrt – der Stimme eines Menschen? Indes, solche Erwägungen wurden alsbald zerstreut durch den neuerlichen Eintritt jenes Mannes. Er stellte Brot, Wasser und auch ein wenig Fleisch auf den Tisch, bedeutete mir, ich solle näher kommen (was ich ganz mechanisch tat), und flüsterte mir, sobald ich Platz genommen, ins Ohr, daß er, da mich ja mein unglücklicher Zustand bis jetzt der Fähigkeit beraubt hätte, die hier geltenden Vorschriften in Kenntnis zu nehmen, daß er beauftragt worden sei, mich mit denselben späterhin vertraut zu machen. Vorerst aber müsse er mich warnen, meine Stimme jemals zu größerer Stärke zu erheben als er die seine, was ja auch durchaus für alle nötige Verständigung ausreiche. Schließlich schärfte er mir noch ein, daß man hier alles Geschrei, alles Rufen, ja sogar ein zu lautes Husten [3] (welches man als ein Verständigungsmittel deuten könnte) für einen Anschlag auf die unverbrüchlichen Gepflogenheiten

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