Melmoth der Wanderer
gelegen, habe noch nicht vermocht, den Besuchen jenes Wesens in den Zellen der Gefangenen auf die Schliche zu kommen. Dabei habe man die Wachen verdoppelt und alle Vorkehrungen getroffen, welche zu ersinnen die Umsicht der Heiligen Inquisition fähig gewesen, doch habe auch dies bislang nicht zum Erfolg geführt. Die einzige Andeutung, welche man über diesen sonderbaren Besucher erhalten, stamme von etlichen Gefangenen, deren Zellen er betreten, und die er in einer eigens vom Bösen Feind entlehnten Sprache angeredet habe, um jene unseligen Wesen damit in die Ewige Verdammnis zu stürzen. Der Fremde selbst aber habe sich bislang aller Entdeckung entzogen, doch sei nunmehr, nach der Ergreifung der neuesten Gegenmaßnahmen, zu hoffen, daß dieser Abgesandte des Bösen das Heilige Tribunal nicht länger beleidigen noch werde verwirren können. Abschließend riet mir mein Besucher noch, ich möge mich auf diesen Punkt gefaßt machen, weil derselbe sicher bei meinem nächsten Verhör zur Sprache kommen werde, und dies vielleicht auf eindringlichere Art und Weise, als ich wohl vermuten möchte. Dies gesagt und mich Gottes Heiliger Obhut empfehlend, verließ mich der Warner.
Nicht ganz ahnungslos im Hinblick auf den in so ungewöhnlicher Mitteilung angedeuteten Gegenstand, jedoch vollkommen schuldlos in jedem ferneren Sinne, sah ich meinem Verhör mit mehr Hoffnung als Furcht entgegen. Zunächst stellte man die gebräuchlichen Fragen: Weshalb ich denn hier sei? Wer mich und welchen Vergehens man mich beschuldige? Ob ich mich einer Äußerung entsinnen könne, welche auf eine Mißachtung der Glaubenslehren unserer Heiligen Kirche hätte schließen lassen? usw. usw. – Nachdem man dies in aller Ausführlichkeit mit mir durchgegangen, stellte man mir eine Reihe bedeutsamerer Fragen, die alle auf versteckte Weise mit dem Auftreten meines sonderbaren Besuchers zusammenhingen. Ich beantwortete sie mit einer Aufrichtigkeit, welche meine Richter furchtbar zu beeindrucken schien, denn ich sagte kurz und bündig, daß allerdings ein Fremder in meinem Verlies erschienen sei.
›Für dich ist es die Zelle‹, sagte der Vorsitzende.
›Nun denn, in meiner Zelle. Und er sprach mit der äußersten Vermessenheit über das Heilige Offizium, wobei er Worte gebrauchte, die hier zu wiederholen grob gegen allen schuldigen Respekt verstoßen würde. Ich vermochte kaum zu glauben, daß es einer solchen Person gestattet worden sein sollte, die Verliese (oder vielmehr die Zellen) der Heiligen Inquisition zu betreten.‹
Während ich dies sagte, wollte einer der Richter eine Frage an mich stellen. Er hatte indes noch kaum zu sprechen begonnen, da entquoll seiner Kehle ein würgendes Stöhnen, die Augen verdrehten sich ihm in den Höhlen, er wurde vom Schlag gestreift und war ein Mann des Todes, noch ehe man ihn bis in das nächste Gemach hätte schaffen können. Unverzüglich und unter einiger Verwirrung wurde das Verhör abgebrochen, und man schickte mich in meine Zelle zurück. Ich aber mußte zu meiner Bestürzung wahrnehmen, daß ich bei meinen Richtern den allerungünstigsten Eindruck hinterlassen hatte.
Noch zur nämlichen Nacht erschien ein Richter der Heiligen Inquisition in meiner Zelle, um ziemlich lange und in ernster, leidenschaftsloser Weise auf mich einzusprechen. Zunächst stellte er fest, als welch abscheulicher, halsstarriger Charakter ich der Heiligen Inquisition schon von Anfang an erschienen sei – nämlich als ein abtrünniger Mönch, der in seinem Kloster des Verbrechens der Hexerei geziehen worden sei und mit seinem gottlosen Fluchtversuch den Tod des eigenen Bruders verschuldet, ja diesen Bruder recht eigentlich erst zur Mithilfe an dem schnöden Verbrechen verleitet habe, solcherart eine der ersten Familien des Landes mit Schande und Verzweiflung überschüttend. Hier wollte ich eine Einwendung machen, doch er gebot mir Einhalt und bemerkte, er sei nicht gekommen, um auch mich zu hören, sondern um zu mir zu sprechen. Und er fuhr fort, mich zu belehren, daß, obwohl ich gelegentlich jener Visitation durch den Bischof von der Anklage, mit dem Teufel im Bunde zu stehen, freigesprochen worden sei, gewisse Verdachtsmomente gegen mich erschreckend zugenommen hätten angesichts der Tatsache, daß die Besuche jenes außergewöhnlichen Wesens, von dem ich ja genug gehört hätte, um mich seines tatsächlichen Wirkens zu versichern, vor meiner Einlieferung in das Gefängnis der Heiligen Inquisition hierorts unbekannt gewesen
Weitere Kostenlose Bücher