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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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glaubst dein Dahinkümmern in den Kerkern der Inquisition müsse dir zur Erlösung verhelfen. Doch es gibt keinen Irrtum, der absurder und dennoch tiefer in den Herzen der Menschen eingewurzelt ist als der Glaube, daß die Errettung der Seele durch körperliches Erleiden gesichert werden könne.‹
    Darauf glaubte ich mit Sicherheit erwidern zu können, ich fühlte – ja ich vertraute darauf –, daß mein hiesiges Leiden in der Tat zur Linderung meiner wohlverdienten Strafe im Jenseits beitragen werde. Ich bekannte meine zahlreichen Irrtümer – ich bekannte meine Reue über all mein Mißgeschick, als hätte es sich dabei um die größten Verbrechen gehandelt –, ja ich empfahl mich, indem ich die Heftigkeit meines Kummers mit der Schuldlosigkeit meines Herzens vereinte, der Gnade des Allmächtigen mit einer Inbrunst, welche ich wirklich empfand, und rief die Namen Gottes, des Erlösers und der Allerheiligsten Jungfrau flehentlich und in aufrichtiger Gottergebung an. Als ich mich wieder von meinen Knien erhoben hatte, war mein Besucher verschwunden.
    Mein nächstes Verhör vor den Richtern begann mit einer Befragung in den gebräuchlichen Formen und führte dann über allerlei künstlich konstruierte Fragen – so als ob es irgendwelcher Künstlichkeit bedurft hätte, mich dahin zu bringen – zu jenem Punkt, in welchem ich nichts sehnlicher wünschte, als mein Gewissen zu erleichtern. Ich erklärte, daß ich in meiner Zelle abermals von jenem Unbekannten aufgesucht worden sei, und wiederholte mit atemlosem und bebendem Eifer jedes Wort dieser letzten Zusammenkunft. Ich verschwieg keine einzige Silbe all der Angriffe gegen das Heilige Offizium, nichts von jener wilden, teuflisch-sarkastischen Schärfe, mit welcher dieselben vorgetragen worden, nichts von all dem verschworenen Atheismus und dem satanischen Charakter jener Ergüsse – kurz, ich berichtete alles bis in die kleinsten Einzelheiten.
    Einen Atemzug lang hatte es den Anschein, als brächten sie meinen vom Entsetzen erpreßten Worten eine Art gefühlsmäßigen Glaubens entgegen. Doch gleich danach mußte ich feststellen, daß ich es war und nicht jener Unbekannt, was sie so sehr in Schrecken versetzte. Sie schienen mich nur in dem alles verzerrenden Dunstkreis des Geheimen und Verdächtigen zu sehen und drangen wieder und wieder in mich, ich möge ihnen doch weitere Einzelheiten enthüllen, Umstände, welche über das bereits Gesagte noch hinausgingen – etwas, das in ihrem Sinne lag, nicht aber in meinem. Doch je mehr Mühe sie sich gaben, ihre Fragen noch künstlicher zu konstruieren, desto weniger verständlich wurden dieselben für mich. Ich hatte alles gesagt, was ich wußte, war begierig gewesen, alles zu sagen, aber mehr als das konnte ich ja nicht sagen, und so wuchs die Qual meiner Sorge, es meinen Richtern recht zu machen in dem Maße meiner zunehmenden Unkenntnis ihres Begehrs. Schließlich wurde ich wieder in meine Zelle zurückverwiesen, wobei man mich ernstlich und nachdrücklich warnte, daß, im Falle ich in meiner Aufmerksamkeit nachließe, auf jedes, aber auch wirklich jedes Wort zu achten, welches jener Unbekannte äußere, dessen Besuche weder entdecken noch verhindern zu können man stillschweigend zugab, und falls ich nicht alles davon berichtete, ich mit der größten Strenge des Heiligen Offiziums zu rechnen hätte. Ich versprach alles, was man von mir verlangte und verlangen konnte, und fügte meinem Versprechen als einen letztmöglichen Beweis meiner Aufrichtigkeit die dringende Bitte hinzu, man möge doch irgend jemandem gestatten, die Nacht in meiner Zelle zuzubringen, oder, falls dies den Regeln der Heiligen Inquisition zuwiderliefe, einen Wächter in dem zu meiner Zelle führenden Gang postieren, mit dem ich mittels eines vereinbarten Zeichens in Verbindung treten könnte, sobald jenes namenlose Wesen mich wieder heimsuchte, so daß dessen ruchloses Eindringen sogleich der Aufdeckung und Bestrafung verfiele. Indem ich diese Bitte aussprechen durfte, wurde mir ein innerhalb der Heiligen Inquisition sehr seltenes Vorrecht zuteil, weil ja deren Gefangene nur antworten, niemals aber von sich aus sprechen dürfen. Dennoch hatte mein Vorschlag eine Beratung zur Folge, als deren Ergebnis ich mit Schrecken zur Kenntnis nehmen mußte, daß keiner der Offizialen, nicht einmal auf Anordnung der Heiligen Inquisition, es auf sich nehmen würde, vor meiner Zelle Wache zu halten.
    So kehrte ich denn in unaussprechlicher Seelenpein zurück.

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