Melodie der Liebe
dem leicht zerzausten Haar, dessen Schnitt schon seit einer oder zwei Wochen überfällig war.
Er schlief fest, ein kleines Kissen unter den Kopf gestopft. Vera hatte ihre Zurückhaltung aufgegeben, von ihr wusste Natasha, dass Spence zwei Nächte lang aufgeblieben war, als Freddies Fieber den Höhepunkt erreicht hatte.
Und sie wusste, dass er sich zwischen den Terminen am College immer wieder Zeit nahm, um nach Hause zu fahren. Mehr als einmal hatte sie bei ihren Besuchen gesehen, wie er sich bis über beide Ohren in Papiere vertiefte.
Noch vor kurzem hatte sie ihn für einen Mann gehalten, dem das Talent und die Karriere gewissermaßen in die Wiege gelegt worden waren. Was das Talent betraf, so stimmte das ja vielleicht, aber den Rest hatte er sich schwer erarbeitet. Für sich und für sein Kind. Es gab nichts, was sie an einem Mann mehr bewunderte.
Ich bin dabei, mich in ihn zu verlieben, dachte sie. Vielleicht gibt es doch eine Grundlage für unsere Beziehung.
Und sie wollte sich ihm völlig hingeben. Das hatte sie noch nie gewollt. Mit Anthony war es einfach passiert. Sie hatte sich überwältigen und davontragen lassen, bis zum bitteren Ende. Mit Spence würde es anders sein. Eine bewusste Entscheidung. Diesmal war sie nicht so leicht zu verletzen. Und schon gar nicht so tief. Vielleicht würde es sogar glücklich enden.
Sollte sie das Risiko eingehen? Leise faltete siedie blaue Wolldecke auf, die über der Sofalehne lag, und deckte ihn damit zu. Es war lange her, dass sie ein Risiko eingegangen war. Vielleicht war es jetzt an der Zeit. Sie beugte sich zu ihm hinab und küsste ihn behutsam auf die Augenlider.
7. KAPITEL
D ie schwarze Katze stieß einen warnenden Schrei aus. Ein Windstoß ließ die Tür gegen die Wand knallen, und von draußen drang ein irres Lachen herein. Es mussten schwere Tropfen sein, die die Wände hinabrannen und geräuschvoll auf dem Boden des Verlieses aufschlugen. Die Gefangenen rasselten mit den Ketten. Einem ohrenbetäubenden Aufschrei folgte ein langes, verzweifeltes Stöhnen.
„Toll“, meinte Annie und steckte sich einen Kaugummi in den Mund.
„Von den Schallplatten hätte ich mehr bestellen sollen!“ Natasha griff nach einer orangefarbenen Schreckensmaske und verwandelte einen harmlosen Plüschbären in ein Halloween-Gespenst. „Das war die letzte.“
„Nach heute Abend wirst du ohnehin für Weihnachten planen müssen.“ Annie schob ihren spitzen Zaubererhut zurück. Sie grinste und entblößte dabei ihre geschwärzten Zähne. „Da kommen die Freedmont-Jungen.“ Sie rieb sich die Hände und probierte ein hämisches Gackern. „Falls dieses Kostüm etwas taugt, werde ich die beiden in Frösche verwandeln.“
Das schaffte sie zwar nicht, aber immerhin verkaufte sie ihnen künstliches Blut und gruselige aufklebbare Gumminarben.
„Ich möchte wissen, was die beiden Rabauken heute Abend bei ihren Nachbarn alles anstellen“, dachte Natasha laut.
„Nichts Gutes.“ Annie bückte sich unter einer herabbaumelnden Fledermaus. „Musst du jetzt nicht los?“
„In einer Minute.“ Natasha widmete sich ihrem schwindenden Vorrat an Masken und falschen Nasen. „Die Schweineschnauzen haben sich besser verkauft, als ich dachte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass so viele Leute sich als Vieh verkleiden wollen.“ Sie hielt sich eine davon vor die Nase. „Vielleicht sollten wir sie das ganze Jahr hindurch im Angebot führen.“
Annie merkte, dass ihre Freundin Zeit gewinnen wollte, und fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, um nicht zu grinsen. „Ich finde es schrecklich nett von dir, bei der Dekoration für Freddies Party heute Abend zu helfen.“
„Ist doch selbstverständlich.“ Natasha ärgerte sich über ihre Nervosität. Sie legte die Schnauze zurück und strich mit dem Finger über den faltigen Elefantenrüssel, der an einer übergroßen Brille befestigt war. „Schließlich habe ich selbst vorgeschlagen, dass sie eine Halloween-Party veranstaltet, nachdem die zu ihrem Geburtstag ausfallen musste.“
„Hmm“, murmelte Annie. „Ob ihr Vater wohl als Märchenprinz kommt?“
„Er ist kein Märchenprinz.“
„Der große böse Wolf?“ Annie lachte und hob begütigend die Hände. „Tut mir Leid. Ich finde es nur lustig, wenn du entnervt bist.“
„Ich bin nicht entnervt.“ Das war eine dicke Lüge, und Natasha gestand es sich ein, während sie zusammenpackte, was sie zur Party beisteuern wollte. „Du kannst gern mitkommen, weißt
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