Melodie der Liebe
geworden. Sie musste ein trauriges Kind mit einem juckenden Ausschlag trösten und sich um den erschöpften, gehetzt wirkenden Vater kümmern. Überraschenderweise hatte sie die Aufgabe genossen und es sich zur Gewohnheit gemacht, nach dem Lunch der noch immer misstrauischen Vera zu helfen oder nach Ladenschluss Spence eine Stunde Ruhe und Frieden zu verschaffen.
Seit zehn Tagen kam sie jetzt schon vorbei. Ein Mädchen, dem die Haut juckte, in Stärkemehl zu baden, hatte mit Romantik nicht viel zu tun. Trotzdem fühlte Natasha sich umso mehr von Spence angezogen, und seine Tochter fand sie von Tag zu Tag liebenswerter.
Sie erlebte mit, wie er sich alle Mühe gab, die missmutige Patientin an ihrem Geburtstag aufzuheitern, und half ihm mit dem Kätzchenpaar, das sich als Freddies Lieblingsgeschenk erwies. Als der Ausschlag zurückging und die Langeweile einsetzte, half sie Spence mit eigenen Geschichtenaus. Seine Fantasie war langsam, aber sicher erschöpft.
„Nur noch eine Geschichte.“
Natasha strich ihr die Decke glatt. „Das hast du vor drei Geschichten auch schon gesagt.“
„Du erzählst immer so gute.“
„Schmeichelei hilft da auch nichts. Ich müsste längst schlafen.“ Sie sah auf den großen roten Wecker. „Und du auch.“
„Der Doktor hat gesagt, ich kann Montag wieder in die Schule. Ich bin nicht mehr fektiös.“
„Infektiös“, korrigierte Natasha. „Du freust dich bestimmt, deine Freunde wiederzusehen, stimmts?“
„Die meisten.“ Freddie spielte mit dem Deckenrand, um Zeit zu gewinnen. „Besuchst du mich, wenn ich nicht mehr krank bin?“
„Ich glaube schon.“ Sie beugte sich vor und griff nach einem miauenden Kätzchen. „Und Lucy und Desi.“
„Und Daddy.“
Behutsam kraulte Natasha dem Kätzchen die Ohren. „Ja, vermutlich.“
„Du magst ihn, nicht?“
„Ja. Er ist ein sehr guter Lehrer.“
„Er mag dich auch.“ Freddie erzählte nicht, dass sie gesehen hatte, wie ihr Vater Natasha gestern Abend vor dem Bett geküsst hatte. „Wirst du ihn heiraten und dann bei uns wohnen?“
„Soll das ein Antrag sein?“ Natasha rang sich ein Lächeln ab. „Ich freue mich, dass du das möchtest, aber dein Daddy und ich sind nur gute Freunde. So wie du und ich.“
„Wenn du bei uns wohnst, können wir immer noch Freunde sein.“
Das Kind, dachte Natasha, ist ebenso schlau wie der Vater. „Bleiben wir denn nicht auch Freunde, wenn ich bei mir zu Hause wohne?“
„Mmh.“ Freddie schob trotzig die Unterlippe vor. „Aber es wäre schöner, wenn du hier wohnst. Wie JoBeths Mutter. Sie macht immer Kekse.“
Natasha beugte sich hinunter, bis ihre Nasen sich fast berührten. „So, so, du willst mich also wegen der Kekse hier haben.“
„Ich hab dich lieb.“ Freddie schlang die Arme um Natashas Hals und klammerte sich an sie. „Wenn du kommst, bin ich auch ganz artig.“
Verblüfft umarmte Natasha das Mädchen und schaukelte sie hin und her. „Oh, Baby, ich hab dich doch auch lieb.“
„Dann heiratest du uns auch.“
Natasha wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. „Heiraten wäre jetzt für keinen von uns die richtige Lösung. Aber wir bleiben Freunde, und ich besuche dich und erzähle dir Geschichten.“
Freddie seufzte gedehnt. Sie merkte es, wenn ein Erwachsener ihr auswich, und beschloss, nichtweiterzubohren. Zumal sie ihr Urteil bereits gefällt hatte. Natasha war genau das, was sie als Mutter wollte. Außerdem brachte Natasha ihren Daddy zum Lachen. Freddies geheimster Weihnachtswunsch stand fest. Natasha sollte ihren Vater heiraten und eine kleine Schwester mitbringen.
„Versprochen?“ fragte Freddie mit ernster Stimme.
„Ehrenwort.“ Natasha gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Und jetzt schlaf. Ich schicke dir deinen Daddy hoch, damit er dir einen Gutenachtkuss gibt.“
Freddie ließ ihre Augen zufallen. Ihre Lippen kräuselten sich zu einem wissenden Lächeln.
Mit dem Kätzchen auf dem Arm ging Natasha nach unten. Im Haus war es ruhig, aber aus dem Musikzimmer drang Licht. Sie setzte das Kätzchen ab, und es rannte sofort in die Küche.
Spence lag im Musikzimmer auf dem zweisitzigen Sofa. Seine Beine baumelten an der einen Seite über der Lehne. In seiner abgetragenen Freizeitkleidung und mit bloßen Füßen sah er nicht aus wie ein brillanter Komponist und Ordentlicher Professor der Musikwissenschaft. Rasiert hatte er sich auch nicht. Natasha musste zugeben, dass die Stoppeln ihn noch attraktiver machten, vor allem in Kombination mit
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