Melodie der Liebe
Tapeten und abgenutzten Möbeln. Aber auf den Sessellehnen lagen Spitzendeckchen, im gelben Licht der Lampen glänzte das sorgfältig polierte Holz, und hier und dort lagen kunstvoll gestickte Kissen. Gerahmte Familienfotos standen zwischen Topfpflanzen und vielerlei Krimskrams.
Ein heiseres Hecheln ließ Spence nach unten sehen. In der Ecke lag ein alter, grauer Hund. Alsdas Tier Natasha erblickte, begann es mit dem Schwanz zu wedeln. Es kostete den Hund sichtlich Mühe, aufzustehen und zu ihr zu gehen.
„Sasha.“ Sie ging in die Knie, um ihr Gesicht in seinem Fell zu vergraben. Sie lachte, als der Hund sich hinsetzte und ihr Bein als Stütze nutzte. „Sasha ist ein alter Mann“, erklärte sie Freddie. „Schlafen und Essen sind seine Lieblingsbeschäftigungen.“
„Und Wodkatrinken“, warf Yuri ein. „Das tun wir auch bald. Außer dir natürlich“, fügte er hinzu und tippte Freddie auf die Nase. „Du bekommst stattdessen Champagner, was hältst du davon?“
Freddie kicherte und biss sich dann auf die Unterlippe. Natashas Daddy sah gar nicht so aus, wie sie sich einen Großvater vorgestellt hatte. Er hatte weder schneeweißes Haar noch einen dicken Bauch. Sein Haar war weiß und schwarz zugleich, und einen Bauch hatte er überhaupt nicht. Seine Stimme klang lustig, so tief und rumpelnd. Er duftete angenehm, wie Kirschen. Und sein Lächeln war nett.
„Was ist Wodka?“
„Ein altes russisches Getränk“, antwortete Yuri. „Wir machen es aus Getreide.“
Freddie kräuselte die Nase. „Das klingt aber eklig“, sagte sie und biss sich sofort auf die Lippe. Aber Yuri lachte nur schallend. Sie lächelte scheu.
„Natasha wird dir bestätigen, dass ihr Papa zu gern kleine Mädchen neckt.“ Nadia stieß Yuri einenEllbogen in die Rippen. „Das liegt daran, dass er im Herzen ein kleiner Junge geblieben ist. Du möchtest bestimmt viel lieber eine heiße Schokolade, nicht?“
Freddie schwankte zwischen dem geborgenen Gefühl, das sie an der Hand ihres Vaters hatte, und der Verlockung eines ihrer Lieblingsgetränke. Außerdem lächelte Nadia zu ihr herab, nicht so komisch, wie manche Erwachsene es bei Kindern immer taten, sondern ganz warmherzig und natürlich. So wie Natasha.
„Gern, Ma’am.“
Nadia nickte. Das Kind war gut erzogen. „Dann komm doch einfach mit. Ich zeige dir, wie man große, dicke Marshmallows macht.“
Freddie vergaß ihre Scheu, zog ihre Hand aus Spences und legte sie in Nadias. „Ich habe zwei Katzen“, erzählte sie Nadia stolz, während sie in die Küche gingen. „Und an meinem Geburtstag hatte ich Windpocken.“
„Setzt euch, setzt euch“, befahl Yuri und zeigte auf das Sofa. „Wir nehmen einen Drink.“
„Wo sind Alex und Rachel?“ Natasha ließ sich in die abgenutzten Polster sinken.
„Alex ist mit seiner neuen Freundin im Kino. Sehr hübsch“, sagte Yuri und rollte mit seinen hellen braunen Augen. „Rachel ist in einer Vorlesung. Berühmter Anwalt aus Washington, D. C., besucht ihr College.“
„Und wie geht’s Mikhail?“
„Hat viel zu tun. Sie renovieren eine Wohnung in Soho.“ Er verteilte die Gläser, goss den Wodka ein und stieß mit ihnen an. „So“, sagte er zu Spence, als er sich in seinen Stammsessel setzte, „Sie unterrichten also Musik.“
„Ja. Natasha ist eine meiner besten Studentinnen in Musikgeschichte.“
„Schlaues Mädchen, meine Natasha.“ Er musterte Spence. Aber keineswegs so diskret, wie Natasha gehofft hatte. „Sie sind gute Freunde?“
„Ja“, mischte Natasha sich hastig ein. Es gefiel ihr nicht, wie seine Augen leuchteten. „Das sind wir. Spence ist gerade in die Stadt gezogen. Er und Freddie haben vorher in New York gelebt.“
„Das ist ja interessant. Wie Schicksal.“
„Das denke ich auch immer“, stimmte Spence ihm amüsiert zu. „Ich habe ein kleines Mädchen und Natasha einen sehr verlockenden Spielzeugladen. Und dann hat sie sich auch noch ausgerechnet für einen meiner Kurse eingetragen. Da war es für sie natürlich schwierig, mir aus dem Weg zu gehen, obwohl sie so trotzig war.“
„Sie ist trotzig“, erwiderte Yuri bedauernd. „Ihre Mutter ist auch trotzig. Ich bin sehr umgänglich.“
Natasha schnaubte kurz.
„In meiner Familie wimmelt es geradezu vor trotzigen und respektlosen Frauen.“ Er nahm einen kräftigen Schluck. „Das ist mein Fluch.“
„Vielleicht werde ich eines Tages das Glück haben, dasselbe sagen zu können.“ Spence lächelte ihr über den Rand seines Glases hinweg
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