Melodie der Liebe
Parade der Gerichte. Der Raum war voller Lärm, alle sprachen durcheinander. Unter dem Tisch lag neben ihren Füßen der alte Sasha in der Hoffnung auf ein paar unauffällig nach unten gereichte Brocken. Sie saß auf einem Stuhl, der durch die New Yorker Gelben Seiten künstlich erhöht wurde. Was sie betraf, so war das der schönste Tag ihres Lebens.
Alex und Rachel stritten über einen Streich ausihrer Kindheit. Mikhail mischte sich ein und erklärte, dass sie sich beide irrten. Als sie nach ihrer Meinung gefragt wurde, lachte Natasha nur und schüttelte den Kopf. Dann murmelte sie Spence etwas ins Ohr, das ihn schmunzeln ließ.
Als Yuri das Glas hob, ergriff sie seine Hand. „Genug“, sagte er, und schon herrschte erwartungsvolle Stille. „Ihr könnt euch später streiten, wer die weißen Mäuse im Schullabor ausgesetzt hat. Jetzt möchte ich einen Toast ausbringen. Wir danken für das Essen, das Nadia und meine Mädchen für uns zubereitet haben. Und wir danken besonders dafür, dass wir es mit der ganzen Familie und guten Freunden genießen dürfen. Wie wir es an unserem ersten Thanksgiving in unserem Land getan haben, danken wir dafür, dass wir frei sind.“
„Auf die Freiheit“, sagte Mikhail und hob das Glas.
„Auf die Freiheit“, stimmte Yuri zu. Mit verschleiertem Blick sah er in die Runde. „Und auf die Familie.“
11. KAPITEL
„A n diesem Abend lauschte Spence den Geschichten, die Yuri über die alte Heimat erzählte. Freddie lag dösend auf dem Schoß ihres Vaters. Das Essen war laut und lebhaft gewesen. Jetzt dagegen war es ruhig und besinnlich. Auf der anderen Seite des Zimmers spielten Rachel und Alex ein Gesellschaftsspiel. Sie stritten häufig, aber ohne jede Verbissenheit.
In der Ecke hatten Natasha und Mikhail die dunkelhaarigen Köpfe zusammengesteckt. Spence hörte sie murmeln und bemerkte, dass sie einander häufig berührten. An der Hand, an der Wange. Nadia stickte an einem weiteren Kissenbezug. Hin und wieder verbesserte sie Yuri lächelnd oder gab einen Kommentar ab.
„Frau.“ Yuri richtete den Stiel seiner Pfeife auf Nadia. „Ich erinnere mich an alles, als ob es gestern wäre!“
„Du erinnerst dich so, wie du es erinnern willst.“
„Tak.“ Er schob sich die Pfeife wieder in den Mund. „Dann gibt es auch eine bessere Geschichte ab.“
Als Freddie sich bewegte, sah Spence auf sie hinab. „Ich bringe sie besser zu Bett.“
„Ich tue es.“ Nadia legte ihr Stickzeug zur Seiteund stand auf. „Ich tue es gern.“ Sie gab beruhigende Laute von sich und hob Freddie in die Arme. Freddie hatte nichts dagegen, sondern schmiegte sich schläfrig an Nadias Hals.
„Schaukelst du mich?“
„Ja.“ Gerührt küsste Nadia ihr Haar und ging zur Treppe. „In dem Stuhl, in dem ich alle meine Babys geschaukelt habe.“
„Singst du auch?“
„Ich singe dir das Lied, das meine Mutter mir immer vorgesungen hat. Würde dir das gefallen?“
Freddie gähnte und nickte verschlafen.
„Sie haben eine wunderschöne Tochter.“ Yuri sah wie Spence den beiden nach. „Sie müssen sie oft herbringen.“
„Dafür wird Freddie schon sorgen, glaube ich.“
„Sie ist immer willkommen, so wie Sie auch.“ Yuri zog an der Pfeife. „Selbst dann, wenn Sie meine Tochter nicht heiraten.“
Die Aussage löste für ungefähr zehn Sekunden ein knisterndes Schweigen aus, bis Alex und Rachel sich mit verstohlenem Lächeln wieder über ihr Spiel beugten. Spence machte aus seiner Freude keinen Hehl, als Natasha aufstand.
„Wir haben nicht mehr genug Milch für morgen früh“, sagte sie kurz entschlossen. „Ich werde welche holen gehen. Spence, begleitest du mich?“
„Sicher.“ Er lächelte strahlend.
In Mantel und Schal gehüllt traten sie wenig später in die Kälte hinaus. Über ihnen war der Himmel so klar wie schwarzes Glas und voller frostig glitzernder Sterne.
„Er wollte dich bestimmt nicht in Verlegenheit bringen“, begann Spence.
„Doch, das wollte er.“
Spence legte ihr schmunzelnd den Arm um die Schulter. „Nun ja, vermutlich wollte er das wirklich. Ich mag deine Familie.“
„Ich auch. Meistens jedenfalls.“
„Du kannst froh sein, dass du sie hast. Wenn ich Freddie hier so sehe, wird mir klar, wie wichtig die Familie ist. Irgendwie habe ich mich nie um einen engeren Kontakt zu Nina oder meinen Eltern bemüht.“
„Trotzdem sind sie deine Familie. Vielleicht sind wir uns deshalb so nah, weil wir nur uns hatten, als wir herkamen.“
„Ich gebe zu, dass
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