Melodie der Sehnsucht (German Edition)
Rechenschaft ziehen. Sie wusste, dass diese Furcht eigentlich jeder Grundlage entbehrte – De Caresse würde sich um hundert Kleinigkeiten rund um die Aufbahrung des Ritters, die weitere Verlesung von Totenmessen und die Überführung des Leichnams nach Caresse kümmern müssen. Aber die Anspannung des Tages forderte jetzt ihren Tribut. Sabine sank zitternd und schluchzend auf einen der Sessel in ihrem Wohnraum. Sie fror, obwohl der Regen schon vor der Duellforderung aufgehört hatte. Zwischendurch hatte sogar die Sonne geschienen und jetzt, am Abend, herrschten die üblichen gemäßigten Temperaturen im südlichen Aquitanien. Sicher trafen sich die Mädchen in leichten Kleidern mit ihren Rittern in den Minnehöfen, aber Sabine schlotterte am ganzen Körper und brauchte die Decken dringend, die Fleurette jetzt sanft und verständnisvoll um sie drapierte. Die kleine Zofe hatte auch für Feuerholz gesorgt und entfachte nun die Flammen im Kamin – Sabine kauerte sich so nah wie möglich davor, ohne sich zu verbrennen. Fleurette kredenzte, ihr heißen Würzwein.
»Weißt du ... weißt du irgendetwas von Florimond?«, fragte Sabine ihre Zofe schließlich, als sie sich etwas gefasst hatte.
Fleurette schüttelte den Kopf. »Nein, Marquise, nur dass er lebt. Ich kann um diese Zeit nicht in die Ställe gehen, Jeannot bekommt sonst Ärger.«
Sabine nickte. »Aber du gehst später, nicht wahr?«, flüsterte sie. Ihre Zähne klapperten immer noch vor Kälte und Erschöpfung.
»Sobald es möglich ist. Aber Ihr müsst Euch umkleiden, Marquise. Es ist möglich, dass die Herzogin noch nach Euch schickt. Oder hat sie Euch für heute verabschiedet?«
Sabine schüttelte den Kopf und zog die Decken enger um sich. »Sie kann nicht ernstlich verlangen, dass ich ihr heute noch aufwarte. Wenn ich ehrlich sein soll, bin ich nahe daran, ihr ins Gesicht zu springen. Sie wusste das doch, Fleurette! Sie wusste, dass einer von ihnen sterben würde und in welche Lage mich das bringt.«
Fleurette nickte. »Wenn es Monsieur d’Aragis gewesen wäre, wäret Ihr kompromittiert bis in alle Ewigkeit – von Eurer Trauer ganz zu schweigen. Und so ...«
»So wird mein Gatte mir den Tod seines Erben nie verzeihen. Auf jeden Fall viel Stoff für den Hofklatsch.« Sabine richtete sich müde auf.
»Die Herzogin spielt mit den Menschen«, sagte Fleurette leise. »Das tut sie immer. Dieser ganze Minnehof ... ist nur ein Spiel, und die Schachfiguren sind die Damen und die Ritter.«
Sabine nickte. »Ich hätte es durchschauen müssen«, meinte sie schuldbewusst.
Fleurette seufzte. »Aber Ihr durchschaut es doch nie, Marquise«, bemerkte sie offen. »Auf Caresse waren wir Diener die Schachfiguren – Gaston und Jeanne und beinahe auch ich. Und hier sind es die Herrschaften selbst. Passt nur auf Euch auf, Marquise. Passt nur auf Euch auf!«
Sabine fieberte dem Zeitpunkt entgegen, da Fleurette es für sicher hielt, sich nach Florimonds Zustand zu erkundigen. Wenn sie selbst es täte, würde es Jules zu Ohren kommen, und das wollte sie unbedingt vermeiden. So saß sie zitternd in ihren Räumen, während Jules de Caresse die Totenwache bei seinem Sohn hielt, und der Herzog und seine Ritter sich zu einem stillen Umtrunk im großen Saal trafen. Sie lärmten diesmal tatsächlich nicht, sondern betranken sich schweigend, nur manchmal hob einer sein Glas auf die Toten des Tages – neben François waren noch zwei junge Ritter beim Buhurt ums Leben gekommen. Einer hatte sich beim Sturz seines Pferdes das Genick gebrochen, dem anderen war ein splitterndes Holzschwert in den Hals gefahren.
Fleurette machte sich bereit zum Aufbruch, als Sabine der Ruf der Herzogin erreichte.
»Ihr möchtet in ihre Privaträume kommen, Sabine«, bat Madame de Valles und sah sie mitleidig an. Sabine wunderte sich, warum Catherine ihre Vertraute und Erste Hofdame mit diesem Botendienst betraut hatte. Gewöhnlich schickte sie einfach eine Zofe oder eins der ganz jungen Mädchen. Gleich darauf erhielt sie jedoch einen Anhaltspunkt. »Fasst Euch und bringt alles mit, was Ihr zur Wundversorgung verwendet«, sagte Claire de Valles. »Es wartet jemand auf Euch.«
Sabines Herz schlug heftig, während sie in rasender Eile Tücher und Wundsalben zusammenraffte.
»Lass auch noch alten Wein holen, Fleurette, und vielleicht Brandwein zur Stärkung«, wies sie ihre Zofe an, bevor sie rasch einen Mantel überwarf und Madame de Valles dann folgte, so schnell die ältere Dame die Wehrgänge
Weitere Kostenlose Bücher