Melodie der Sehnsucht (German Edition)
Ritter? Braucht es nur Schnelligkeit oder auch Ausdauer?«
»Eine sehr lange Strecke. Ich reite nach Avignon. Angeblich befindet sich dort zurzeit der Hof des Königs. Bete, dass es so ist, Jean Pierre!«
Am Morgen begann der Priester der Gemeinde Clairevaux – blindwütend darüber, dass ihm das halbe Dorf abtrünnig geworden war – mit der Befragung der Verhafteten. Dabei ergaben sich allerdings keine Überraschungen. Alle gestanden sofort, wobei manche von ihnen fast fröhlich wirkten. Vielen dieser Menschen hatte ihre Abkehr vom alten Glauben schwer auf dem Herzen gelegen, sie hatten jeden Sonntagsgottesdienst in der Dorfkirche als Verrat an der Lehre von Montségur empfunden. Nun hatten sie eine zweite Chance, sich zu ihrer Religion zu bekennen, und sie taten das tapfer, auch im Angesicht des Scheiterhaufens. Wenn die Flammen erst brannten, mochte das anders aussehen, die allergrößte Mehrheit der Ketzer widerrief im letzten Moment doch noch. Aber vorerst waren sie verstockt, allen voran ihre Vorbeterin, Sabine de Caresse. Und dann dieser Graf de Montcours – er war der Einzige, der anhaltend leugnete. Dabei gehörte er sicher zu den wichtigsten Köpfen.
»Bindet den Mann und bringt ihn zum Verhör!«, befahl der eifrige Dorfgeistliche. »Wir wollen sehen, ob er uns nicht doch noch die Wahrheit sagt.«
Das Schloss von Clairevaux verfügte über Verliese, aber keinen richtigen Folterkeller. Es gab auch keine Henkersknechte, die sich auf die Feinheiten hochnotpeinlicher Befragungen verstanden – genau genommen gab es überhaupt keinen Henker. Clairevaux und seine Umgebung war seit jeher Katharergebiet, hier lebten einfache Menschen, denen schon ihr Glaube schlichte und ruhige Lebensführung vorschrieb. Die Ritter schlugen sich nicht im Turnierkampf, das niedere Volk verzichtete auf Box- und Stockkämpfe – hier entstanden also keine Fehden. Ehen wurden im Allgemeinen im gegenseitigen Einverständnis geschlossen, es war selten, dass aus Liebe Hass wurde. Natürlich kam es trotzdem vor, dass Menschen sich stritten, sich bestahlen oder auch mal in Wut die Hand gegeneinander erhoben, aber um die seltenen Verfehlungen zu ahnden, brauchte es keinen Scharfrichter. Wenn wirklich mal ein Strauchdieb gehenkt werden musste, versah ein Schäfer diesen Dienst. Wäre unter den Adligen ein schweres Verbrechen geschehen, hätte man es dem Herzog vortragen müssen, und die Aburteilung wäre in Toulouse erfolgt. Das war bislang jedoch nicht vorgekommen. Selbst die Kerker im Schloss hatte man seit der letzten Belagerung im Rahmen der Religionskriege nicht mehr gebraucht.
Philippes ›hochnotpeinliche Befragung‹ wurde insofern von niedrigsten Knechten aus dem Haushalt des Herzogs vorgenommen, vierschrötigen, bösartigen Kerlen, die sich freiwillig zu dieser ›Arbeit‹ gemeldet hatten. Im Grunde lief es auch weniger auf systematische Folterung hinaus, sondern eher auf ›Zusammenschlagen‹ mit ein paar zusätzlichen, sadistischen Elementen. Am Ende des Tages hatte Philippe nichts gestanden, aber ansonsten war der Effekt echten Folterungen durchaus vergleichbar. Der Ritter war am ganzen Körper wund, sein Gesicht zerschlagen, und Sabine nahm an, dass zumindest all seine Rippen und beide Schlüsselbeine, vielleicht auch der linke Arm gebrochen waren. Auf jeden Fall hatte man ihn aus dem Gelenk gerissen, und Philippe stöhnte nur noch, als die Knechte ihn auf den Boden von Sabines Kerkerzelle warfen und er auch noch auf die linke Körperseite fiel.
Sabine, die ähnliches bereits geahnt hatte, bereitete ihm ein provisorisches Lager aus Decken – zumindest damit, sowie mit warmer und sauberer Kleidung hatte die Herzogin sie heimlich und großzügig versorgen lassen – und flößte ihm verdünnten Wein ein. Auch dies eine Spende Catherines. Sabine kannte auch die Griffe, mittels derer man Schultergelenke wieder einrenkte, aber Sabine war eine zierliche Frau und Philippe ein starker, muskulöser Mann. Dazu konnte sie seine Hand nicht fassen, die Schergen hatten sie völlig zerschlagen. So brauchte sie etliche Versuche, bis der Arm wieder ins Gelenk rutschte, und am Ende schrie Philippe vor Schmerz. Als die Arbeit schließlich getan war, fiel er in eine gnädige Ohnmacht, und auch Sabine war erschöpft genug, um zu schlafen. Am nächsten Tag würde das provisorische ›Kirchengericht‹ tagen. Die Dorfpriester wollten offensichtlich keine Zeit verlieren, schon damit nicht doch noch jemand auf die Idee kam, das Ganze nach
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