Melodie der Sehnsucht (German Edition)
Jules de Caresses Wohlstand zu wahren. Fleurettes Bemerkung über die Annahmen der Dienerschaft, ihr Liebesleben betreffend, trieb ihr allerdings das Blut ins Gesicht. Zudem empfand sie Pflichtvergessenheit als ›Sünde‹, soweit man diesen Begriff bei den Katharern kannte. Als Herrin oblag ihr die Sorge für ihre Bediensteten, da hatte Fleurette recht. Sie konnte sich nicht darum drücken.
Seufzend erhob sie sich von ihrem Lager.
»Also schön, Fleurette, kleide mich an. Aber schlichte Kleidung, es gibt nichts zu feiern. Nach dem Kirchgang will ich mir die Klagen der Dienerschaft gern anhören.«
Fleurette schüttelte den Kopf. »Sie werden nicht klagen, Marquise. Dazu sind sie viel zu verängstigt. Aber geht nur einmal mit offenen Augen durch Küche und Keller. Dann seht Ihr schon, was dort vorgeht.«
Mit steinernem Gesichtsausdruck wohnte Sabine an der Seite ihres Gatten dem Hochamt bei. Sie versuchte, Jules möglichst nicht anzusehen und schaute noch angelegentlicher an François vorbei, der sie mit brennenden Augen verfolgte. Sabine konnte ihren lüsternen Ausdruck nicht ertragen. Sie konnte überhaupt kaum noch ertragen, einem Mann in die Augen zu sehen!
Das änderte sich jedoch, als sie Fleurettes Rat annahm, und dem Umgang der Hofbeamten mit der Dienerschaft größere Aufmerksamkeit schenkte. Sehr bald fiel ihr auf, dass die meisten Knechte und Mädchen mager waren und mit stumpfem Gesichtsausdruck herumliefen. Statt wie auf Clairevaux munter bei der Arbeit miteinander zu schwatzen starrten sie hier nur unbeteiligt vor sich hin – um allerdings angstvoll aufzufahren, wenn der Kämmerer oder der Truchsess das Wort an sie richteten.
Nach dem Mittagsmahl beschloss Sabine dann, endlich einmal wieder nach ihrem Pferd zu sehen und ertappte auf dem Weg zu den Ställen einige Mägde, die sich über Brotreste und halb abgenagte Knochen vom Tisch des Herrn hermachten. Eigentlich sollten diese Reste den Armen zugute kommen, die sicher bereits vor dem Schloss warteten.
Verwundert beobachtete sie, wie sich ein mageres, junges Ding heißhungrig ein bratensaftgetränktes Stück Brot in den Mund steckte. Das Küchenmädchen – noch ein halbes Kind – erschrak heftig, als Sabine näher trat. Die Kleine duckte sich, als erwartete sie Schläge.
Sabine lag es allerdings fern, sie zu strafen. »Was macht ihr denn hier?«, fragte sie stattdessen freundlich. »Bekommt ihr im Haus nicht genug zu essen?«
Das kleine Mädchen zitterte, wagte aber nicht zu antworten. Stattdessen verneigte sich der Hausdiener, dem es eigentlich oblägen hätte, die Reste an die Armen zu verteilen.
»Mit Verlaub, Herrin, der Koch hält sie knapp. Er meint, sie würden sich beim Zubereiten der Speisen für die Herrschaft schon genug in den Mund stecken, deshalb bräuchten sie keine weitere Mahlzeit. Und die Kleine hier hat er letzte Woche beim Brotstehlen ertappt. Seitdem bekommt sie gar nichts mehr. Da dachte ich, die Reste sind für die Armen bestimmt, und in deren Bäuchen landen sie auch – ob innerhalb oder außerhalb der Burg.«
Sabine runzelte die Stirn.
»Innerhalb der Burg sollte es keine Armen geben. Du kommst jetzt mit mir, Kind, der Koch wird dir eine Mahlzeit vorsetzen, oder er bekommt es mit mir zu tun! Ihr anderen desgleichen, in spätestens einer Stunde wird man die Dienerschaft zum Essen rufen. Die Reste bringst du derweil den Bettlern. Die halten uns sonst noch für knauserig.«
Was Sabine dann in der Küche vorfand, übertraf ihre schlimmsten Erwartungen. Der Koch hatte hier eben ein Festmahl für die Hofbeamten angerichtet, dazu tändelte er mit dem einzigen drallen Mädchen herum, das diese Küche zu bieten hatte. Mireille zahlte wohl auf besondere Weise für ihre Mahlzeiten – sie ließ zu, dass sowohl der Koch als auch die anderen Männer sie beliebig unsittlich berührten.
Als die durchweg bereits berauschten Kerle Sabine dann auch noch mit Zoten begrüßten, machten sie erste Erfahrungen mit der geschulten Befehlsstimme einer Katharer-Parfaite. Henriette de Montcours hatte ihre Schülerin zwar keine Zaubertricks gelehrt, wohl aber, ihre Stimme über die Menge zu erheben. Kalt und selbstbewusst rief Sabine die Männer zur Ordnung, drohte ihren Gatten von diesem Gelage in Kenntnis zu setzen und forderte eine ausreichende Verköstigung der Dienstboten ein.
»Und morgen, wenn der heilige Sonntag vorüber ist, werdet Ihr mir alle Eure Bücher vorlegen, Monsieurs ... Am besten holt Ihr sie gleich.«
Kurz darauf
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