Melodie der Sehnsucht (German Edition)
gefährlich, er durfte keine Gewalt über sie gewinnen!
Am Abend verwarnte Marquis de Caresse seine Hofbeamten auf das Strengste. Sein Sohn und seine Gattin, so erklärte er, hätten Unregelmäßigkeiten in den Büchern entdeckt, dazu gäbe es Anlass zu der Annahme, den Bediensteten seien ihre Zuwendungen – im Allgemeinen Kost und Logie, sowie ein neues Gewand zu Weihnachten oder zum Osterfest – nicht voll zugute gekommen. Caresse bestimmte, dass die Hofbeamten aus ihrem Salär Stoffe zu erstehen hätten, aus denen Kleider für die Leute angefertigt werden sollten – »nach der Weinlese natürlich, jetzt hat wohl keine Frau Zeit zum Schneidern!« –, um sie für die Ausfälle zu entschädigen. Außerdem werde seine Gattin von nun an darauf achten, dass die Bediensteten ordentlich verköstigt würden.
Entlassungen wurden zu Sabines Empörung nicht vorgenommen, ja nicht einmal angedroht. Dazu fand sie die Angabe ›Nach der Weinlese‹ mehr als vage, aber da würde sie nachhaken! Allerdings war sie sich sicher, dass die Hofbeamten während der Ernte genug Möglichkeiten haben würden, Teile der Einnahmen für sich abzuzweigen. Weit mehr, als ein paar Ballen grober Stoff kostete, in die man die Knechte und Mägde kleidete.
Sabine betrachtete ihren Vorstoß bezüglich Haushaltsführung denn auch nicht als Sieg – und die Hofbeamten sahen es ebenso. Für beide Seiten war dies eher der erste Schlag in einem Krieg, der sich noch über Jahre hinziehen konnte, und in dem auch in Zukunft ein Scharmützel das andere jagte. Sabine riss der schwelende Konflikt immerhin aus der Starre ihres Selbstmitleids. Die Aufsicht über den Haushalt ließ ihr kaum Zeit, ihr Schicksal zu beklagen, und Caresses nächtliche Besuche lernte sie zu verdrängen. Sie wurden auch zusehends seltener, ihr Gatte schien das Interesse an ihr zu verlieren. Sabine wusste nach wie vor nicht, was Jules von ihr erwartet hatte und warum er gerade sie zur Frau nehmen wollte, aber es hatte ihm zweifellos gefallen, eine angehende Parfaite der Katharer zu demütigen. Vielleicht hatte er wirklich gehofft, ihr irgendwelche Zauberkräfte abringen zu können, indem er ihr die Unschuld raubte. Aber nachdem Sabine sich in ihr Schicksal ergeben hatte und allabendlich teilnahmslos und schweigend unter ihm lag, während er seine Bedürfnisse an ihr befriedigte, verlor er schnell das Interesse. Nach einigen Wochen kam es sogar so weit, dass Sabine François’ fast tägliche Annäherungsversuche als lästiger und vor allem beängstigender empfand, als die rohen Zärtlichkeiten seines Vaters. Bei Jules wusste sie schließlich, was sie erwartete, sie konnte sich gegen Schmerz und Ekel wappnen – und der Akt mit ihm hatte nichts mit Lust zu tun. François aber näherte sich ihr heimlich, er schien sich anzuschleichen oder wie aus dem Nichts aufzutauchen, wenn sie allein durch den Garten ging oder ihr Pferd zu einem Ausritt bestieg. Dann verhielt er sich durchaus ritterlich, nahm ihr die eben geschnittenen Rosen ab oder hielt ihren Bügel. Dass er sie dabei berührte – schnell und unauffällig über ihre beim Aufsteigen entblößten Enkel strich oder mit einer Rose ihren Haaransatz streichelte – bemerkte nur sie, und ihr trieb dieses Spiel die Röte in die Wangen. Aber nicht nur dort spürte sie unwillkommene Hitze aufsteigen. Da war auch immer wieder dieses Sehnen tief in ihr, das sie den Atem anhalten ließ, wenn sie nur die Präsenz des Ritters spürte. Sabine versuchte verzweifelt, es zu unterdrücken oder es François zumindest nicht merken zu lassen. Aber sie spürte nur zu genau, dass ihm das Aufblühen ihrer Brustwarzen unter der leichten Tunika nicht entging, und wie genau er registrierte, wenn sich die zarten Härchen auf ihrer Haut bei leisester Berührung seiner Finger aufstellten. Sabine verachtete sich selbst dafür und grübelte später in ihrer Kammer stundenlang darüber nach. Konnte es sein, dass ihr Körper sie verriet? War sie in Gefahr, ihrer Lust freien Lauf zu gewähren, so wie es ihr verachteter Gatte jede Nacht tat, ohne Rücksicht darauf, ob es dem Opfer gefiel oder nicht?
Aber François war alles andere als ein Opfer, eher ein Verführer, ein Versucher ... Sabine, die mit der Vorstellung von der Herrschaft des Guten aufgewachsen war, glaubte an die Macht der Sünde.
Ihr ständiger Kampf um die Herrschaft auf der Burg konfrontierte sie obendrein täglich mit der Kraft menschlicher Bosheit und Durchtriebenheit. Die Hofbeamten ließen
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