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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Leichtgläubigkeit oft größer als der Argwohn. Es kann sein, daß ihnen verdächtig vorkommt, was wahr ist, und sie glauben, was falsch ist. Sie neigen dazu, das zu sehen, was sie sehen wollen.
    Aus diesem Grund und weil ich in meiner kämpferischen Stimmung bin, setze ich mich an mein Schreibpult und verfasse einen kühnen Brief an den König von Schweden. Ich schreibe ihm, daß ich »gewisse Dokumente bezüglich der Finanzen Seiner Majestät König Christian« in Händen halte, die für ihn zweifellos von großem Wert sein dürften, daß es jedoch zu gefährlich sei, diese Papiere einem Briefboten zu übergeben, weil sie sonst Dieben in den Rachen fallen könnten. Und ich fahre folgendermaßen fort:

    Wenn mir daher Eure Majestät eine sichere Überfahrt nach Schweden gewährt, wo ich jetzt, da ich in Dänemark so verunglimpft werde, gern leben und mein Dasein fristen möchte, dann bringe ich Euch diese geheimen Papiere und möchte behaupten, daß mir Seine Majestät noch für das, was diese Ihr offenbaren werden, dankbar sein wird.
    Kirsten Munk, Gemahlin des Königs

    Bei genauerem Nachdenken erfüllt mich dieser Brief mit mächtiger Freude, und ich weiß nicht, warum ich an diese Kriegslist nicht schon früher gedacht habe. Denn wenn ich erst einmal in Schweden bin, finde ich bestimmt einen Weg, um dort bei dem Grafen Otto Ludwig zu bleiben, auch wenn ich König Gustav letztlich keine geheimen Papiere zeigen kann. Ich behaupte dann einfach, sie seien im Sund verlorengegangen oder bei einem Feuer auf dem Schiff verbrannt oder aber mir bei meiner Reise aus Jütland gestohlen worden. Es ist egal, was ich sage. Denn ich weiß vieles über den König, meinen Mann, was das Ohr seines alten Feindes erfreuen wird. Und was ich nicht weiß, erfinde ich. Ich werde zu einer Biene, die nutzlose kleine Blumen in Honig verwandelt.

    Ich bin nicht die einzige mit abstrusen Tricks und Komplotten.
    Meine Mutter und Vibeke sind so bis oben hin voll von ihrem Plan, daß sie grinsend und lächelnd herumlaufen und sich heimlich Blicke zuwerfen, die mich so abgrundtief ärgern, daß ich schließlich schwach wurde und meine Mutter fragte: »Was für einen teuflischen Plan habt ihr bloß? Mir wäre es nämlich wirklich lieber, wenn ihr ihn ausführt, statt in diesem Haus wie dicke Füchse herumzuschleichen, die einen ganzen Gänsehof verschlungen haben!«
    Aber sie sagen mir natürlich nichts. Ihr Geheimnis bereitet ihnen große Freude. Vielleicht befürchten sie auch, ich würde versuchen, ihren Plan zu durchkreuzen – was ich auch täte, wenn ich nur wüßte, was sie im Schilde führen.
    Ich weiß nur, daß Vibeke lernen muß, mit ihren neuen Zähnen zurechtzukommen, damit sie beim Essen nicht klicken, klappern und in den Pudding fallen, und daß sie unter Ellens Aufsicht, die noch nie eine geduldige Lehrerin war, irgendwelchen Unterricht erhält. Und so bemerke ich, daß Vibeke oft mit roten Augen und nassem Taschentuch beim Abendessen erscheint und dann beim Essen schweigt oder nur kurze Antworten gibt, wenn meine Mutter sie anspricht. Dies bereitet mir durchaus Heiterkeit und Vergnügen, doch leider scheint Vibekes elendigliche Stimmung nie sehr lange anzuhalten; am nächsten Tag hat sie wieder ihr Lächeln im Gesicht, als sei es nie verschwunden gewesen.
    Ihre Bemühungen, schlank zu werden, sind gescheitert. Sie ist so dick und gierig wie immer; ihre Fettwülste beulen ihre Kleider aus, die meine Mutter für sie anfertigen ließ, und über ihre silbernen und goldenen Halsketten fällt mehr als ein Doppelkinn. Doch darüber wird kein Wort verloren. Im Gegenteil, ich bemerke, daß Vibeke andere, neue Kleider trägt, die noch dazu mit Pelz besetzt und Ornamenten verziert sind, so daß sie meine Mutter sehr viel Geld gekostet haben müssen. »Es überrascht mich«, sage ich, »über welch grenzenlose Mittel du verfügst. Und wie einseitig du sie ausgibst. Du weißt, daß auch ich gern ein paar neue Kleider hätte, doch an mich denkst du ja nie und bietest mir nie etwas an.«
    Doch diese Worte verfehlen ihre Wirkung. Sie erklärt mir, ich sei mein »Leben lang verzogen« worden, habe meinen Anteil vergeudet und mir alles, was ich einst hatte, durch die Finger rinnen lassen. Daß es stimmt, macht es nicht weniger verletzend für mich. So etwas sollten Mütter nicht zu ihren Töchtern sagen, sondern vielmehr danach trachten, ihnen in schweren Stunden beizustehen. Ich erkläre Ellen, sie sei eine böse, unnatürliche Frau und der Tag

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