Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
immer Mäuse durch die Wolle huschen. »Nun erzählt mir mal«, meint der König, »wie es kommt, daß Eure Frau im Gefängnis ist!«
Der Mann deutet auf sein Bett, das ein Haufen Stroh ist, nicht mehr und nicht weniger, und wieder wallt dieses hartnäckige Lachen in ihm auf und durchzuckt seine Lunge. »Bettücher!« lacht er schallend. »Sie hat in Herrn Kædegaards Wäscherei Bettücher gestohlen! Nun, nicht zum Tauschen, Sir, nicht für Gewinn, sondern nur, weil sie wissen wollte, was für ein Gefühl es ist, darin zu schlafen!« Der König nickt ernst, als der Häusler jetzt heftig zu husten und zu würgen beginnt.
Christian zupft Peter Claire am Ärmel und sagt ihm, er solle etwas »Leises und Ruhiges für diesen leidenden Mann« spielen. Dieser nimmt seine übliche gebeugte Haltung über der Laute ein und beginnt mit einer langsamen Pavane. Der Bauer, in dessen Leben es außer dem Singen der Vögel noch keine Musik gegeben hat, blickt ihn ehrfurchtsvoll an, die Arme vor der Brust verschränkt, als befürchte er, ihm könne das Herz durch den Brustkorb entweichen.
Als die Musik aufhört, steht der König auf, und der Bauer, dessen Lunge von der Pavane beruhigt worden ist, kniet nieder und küßt die ausgestreckte Hand des Königs in dem schönen Glacélederhandschuh.
»Verkauft Ihr mir die Sachen, die Ihr auf der Kiste ausgelegt habt?« fragt König Christian.
Auf dem Gesicht des Mannes erscheint wieder ein Lächeln, das in Gelächter überzugehen droht. »Wozu könnte denn Eure Majestät ein altes Rad oder ein Stück Garn brauchen?«
»Nun, überlegen wir mal! Das Rad vielleicht, um mich an das Schicksal zu erinnern? Die Schnur, um meine Größe und meinen Umfang zu messen und um zu sehen, ob ich in meinem Königreich größer geworden bin oder zu schrumpfen begonnen habe?«
»Haha! Das ist eine hübsche Geschichte, Sir! Wie gewunden Ihr Euch ausdrückt!«
»Ihr glaubt mir nicht?«
»Ich glaube Euch, Euer Majestät! Doch nur, weil ich weiß, wieviel Wunderliches es gibt. Meine Frau wollte die Bettücher zurückgeben, nachdem sie darin geschlafen hat, doch die Richter vom Herredag glaubten ihr das nicht. Sie hätten es ihr ruhig glauben sollen, denn dann wäre sie jetzt nicht im Gefängnis und ihre Katze nicht so verlassen.«
Nun lächelt der König. »Wie heißt sie?« fragt er.
»Frederika Manders. Sie hat ihr Leben lang auf Stroh geschlafen, ohne sich zu beklagen, und nun schläft sie immer noch auf Stroh in ihrem Verlies in Kopenhagen, aber ob sie sich beklagt oder nicht, kann ich nicht sagen, auch nicht, ob sie überhaupt noch lebt. Das kann ich auch nicht sagen.«
Der König drückt Manders eine Geldbörse in die Hand. Er verkündet, seine Frau Frederika werde begnadigt und hierher zu ihrem Stückchen Rübenland zurückgeschickt, wenn sie überhaupt noch lebt. Bevor Manders noch seinen Dank stammeln kann, geht die königliche Gesellschaft in den strahlenden März-morgen hinaus, und der Bauer beobachtet grinsend, wie die Männer das Rad, den Besen ohne Stiel, den zerbrochenen Topf, den Steinmeißel und das Stück Schnur nehmen, alles in ihrer Kutsche verstauen und abfahren.
Am Abend, am Kamin eines Gasthofs, in dem leichter Pferde-geruch hängt, den der König angenehm findet, als alle außer ihm, Peter Claire und dem Wirt zu Bett gegangen sind, dreht und wendet Christian den Steinmeißel in seinen großen Händen und betrachtet ihn. Er trinkt seit fünf Stunden. »Der Stößel ist recht groß«, meint er. »Nicht so perfekt gerundet, wie ein Mahlstößel sein sollte. Vielleicht hat er als Knüppel gedient. Es sieht so aus, als habe Manders seine Frau hiermit getötet und die Geschichte von den Bettüchern erfunden.«
Die Holzscheite im Feuer schwelen, fallen in sich zusammen und flammen wieder auf. Man hört das Ticken einer Uhr. Der Wirt wischt das auf den Tischen verschüttete Bier auf und beginnt das Sägemehl zusammenzukehren. Er würde gern pfeifen, weiß aber, daß er still sein muß, bis der König endlich schlafen gegangen ist.
»Wißt Ihr«, sagt König Christian zu Peter Claire, »ich habe mich oft mit dem Gedanken getragen, Kirstens Leben ein Ende zu bereiten. Ich konnte mir genau vorstellen, wie ich ihren Kopf in die Hände nehme und auf einen Stein schmettere …«
Peter Claire schweigt.
»Sie hat ihren Grafen in Werden kennengelernt«, fährt der König fort, »als wir noch Krieg führten. Ich wollte sie in der Schlacht in meiner Nähe haben, und so war sie in jener Nacht
Weitere Kostenlose Bücher