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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Gutsbesitzer nach Belieben schalten und walten und ihre Arbeitskräfte nach Lust und Laune entlohnen, so daß es den Männern und Frauen auf dem einen Anwesen gutgeht und sie im Warmen sind, während sie auf einem angrenzenden vielleicht hungern müssen und nichts haben.
    König Christian hätte gern ein allgemeingültiges Gesetz gegen die Vornedskab – die Leibeigenschaft in Dänemark – erlassen, doch er hat keine absolute Macht wie der König von England: Alle Gesetze müssen erst von der Rigsråd ratifiziert werden. Und in der Rigsråd sitzen die adligen Grundbesitzer, denen immer, wenn sie einen solchen Gesetzesentwurf vor sich haben, einfällt, welch große Menge Daler oder Getreide oder Schafe oder Schweine sie opfern müßten, um Menschen, die zum Schuften und Leiden geboren und daher sanftmütig sind, ungewohnte Annehmlichkeiten zu verschaffen, die sie vielleicht nur anspruchsvoll und rebellisch machen. Und so bleibt es bei der Vornedskab , und der König kann nichts weiter tun, als diese jährlichen Reisen zu unternehmen, um zu sehen, wie grausam der Winter gewesen ist, und um Skillings auf den schmelzenden Schnee zu streuen.
    Er nimmt nur zwei oder drei Personen als Begleitung mit und übernachtet in kleinen Gasthöfen oder in den Häusern der Geistlichkeit. Diese Unterkünfte mit den niedrigen Decken, in denen es nach den Holzbalken riecht und so merkwürdig dunkel ist, erinnern ihn daran, wie er mit seinen Eltern durchs Königreich gereist ist und in den Werkstätten der Zimmerleute, Graveure und Buchbinder vorbeigeschaut hat. Seinen Begleitern gegenüber bemerkt er dann: »Könige sollten herumreisen und naseweis sein. Sie sollten so neugierig wie die Ratten sein, sonst erfahren sie nichts.«
    Dieses Jahr wird er von drei Männern begleitet; einer davon ist Peter Claire.
    Das Wetter ist schön. »Manchmal vermag die Sonne«, erklärt der König eines Morgens, »den Dingen, die uns Kummer bereiten, vorübergehend Schönheit zu verleihen.«
    Er zeigt auf ein Häuschen, dessen feuchtes Rieddach in der Morgensonne silbrig glänzt. »Drinnen wird ein Estrichboden sein«, sagt Christian, »das Feuer ist ausgegangen, und jeder Tag erscheint denen, die dort wohnen, wie eine Ewigkeit.«
    »Sollen wir hineingehen, Sir?« fragt Peter Claire.
    »Ja! Gehen wir hinein! Setzen wir in ihrem Leben einen Markstein!«
    Niemand läßt sich an dem kleinen Fenster blicken, als sie zu dem Häuschen gehen, doch an der Straßenbiegung sehen sie eine Holzkiste, auf der ein paar Gegenstände mit einem Schild »Zu verkaufen« ausgelegt sind. Es handelt sich um einen zerbrochenen Topf, ein Rad, einen schäbigen Besen, einen primitiven Steinstößel und eine Garnrolle.
    König Christian steigt ab und nimmt das Rad in die Hand, an dem eine Speiche fehlt, und sieht es lange an. Nun hat das arme Dänemark, denkt er, also nichts Komplettes mehr, womit es handeln kann. Man lebt hier jetzt von einem Scherbenhaufen. »Und wer«, überlegt er laut, »kommt hier schon mal vorbei, um einen Besen oder ein bißchen Garn zu kaufen?«
    Im Häuschen wohnt ein Mann mit seiner Katze. Auf dem kleinen, ihm vom Großgrundbesitzer überlassenen Stück Land hat er Rüben angepflanzt, »weil Rüben platzsparend, Schulter an Schulter, unter dem Frost wachsen und man alle Teile davon essen kann«. Dann sagt er lächelnd: »Die Katze gehört meiner Frau, die im Gefängnis ist. Früher war es eine getigerte Katze, doch vom vielen Rübenessen ist sie ganz weiß geworden.« Er lacht, und das Lachen geht in Husten über, und er spuckt in die Asche des Feuers.
    Der König setzt sich auf den einzigen Stuhl, einen Schaukelstuhl. Peter Claire und die anderen Herren bleiben stehen und blinzeln im Licht der tiefstehenden Sonne, das jeden Augenblick ins Stocken zu geraten scheint, als versinke die Sonne, statt zum Mittag hin aufzusteigen. Der Bauer entschuldigt sich beim König, daß er ihm nur Wasser aus der Regentonne anbieten könne. Der König erwidert, Wasser sei das Element, in dem Dänemark schwimme und das ihm Hoffnung gebe, und der Mann lacht noch einmal, fast außer sich vor Vergnügen, hustet und spuckt dann wieder und schüttelt den Kopf, als sei das Gesagte der beste Witz, den er je gehört hat.
    König Christian nippt am eiskalten Regenwasser, das ihm in einem Holzbecher gereicht worden ist. Er blickt auf die Handgelenke und Hände des Bauern, die leichenblaß aus den Ärmeln einer Strickjacke hervorragen, die so voller Löcher ist, als würden noch

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