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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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auf dem Eis!«
    So haben sie keine andere Wahl, als zu spielen, mit steifen Beinen zu versuchen, die Balance zu halten; und die Sonne steigt so hoch, wie sie es mitten im Winter vermag, und läßt alles dermaßen hell erstrahlen, daß es Peter Claire in den Augen weh tut. Er wünschte, er wäre nicht da. Er würde diesen allzu klaren Tag, an dem Francesca ihn umkreist, gern für einen anderen Ort eintauschen: den, an dem sich Emilia Tilsen befindet.
    Doch wie soll er zu ihr gelangen? Er hat zwar die Papiere, die er für Kirsten entwenden soll, in der Hand gehalten und wäre vielleicht sogar in der Lage, die komplizierte Summe der Schulden aus dem Gedächtnis aufzuschreiben, weiß aber gleichzeitig, daß es ihm unmöglich ist, den König an seine Feinde zu verraten. Er blickt jetzt zu Seiner Majestät hinüber, die in ihrer einfachen Wollmütze ihre Runden dreht. Christians teigiges Gesicht ist zu einem Lächeln verzogen, und auf seinen Wangen erscheinen allmählich zwei leuchtende Farbflecken, wie zwei süße Pflaumen, die ein Bäcker liebevoll in den Teig gesteckt hat. Es geht nicht, sagt er sich. Es geht leider nicht.

KIRSTEN: AUS IHREN PRIVATEN PAPIEREN
    Jetzt ist März, und der Schnee hat zu schmelzen begonnen.
    Ich habe heute gesehen, daß es eine neue kleine, gelbe Blume gewagt hat, im alten, feuchten Gras ihr Köpfchen zu öffnen, doch ich weiß nicht, wie sie heißt. Bienen sollen den Honig ja aus Blumen herstellen, doch ich weigere mich, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie das machen. Manche Leute, wie der König, mein Mann, stellen ständig Fragen über die Natur, zum Beispiel: »Welches ist die größte Entfernung, die ein Floh hüpfen kann?« oder: »Wie kommt es, daß Eulen im Dunkeln sehen können?« Aber ich erkenne keinen Vorteil darin, mich mit Wissen zu belasten, das mir nicht nützlich sein kann. Wenn mir jemand zeigen könnte, wie ich große Entfernungen überspringen oder sehen kann, wenn kein Licht am Himmel ist, nun, dann wäre ich dankbar, denn diese Gaben könnten mir nützlich sein. Doch bloßes Verstehen um seiner selbst willen erschöpft nur den Geist, und mir ist aufgefallen, daß die sogenannten Gelehrten in Dänemark die melancholischsten Menschen auf Erden zu sein scheinen, und diese Beobachtung veranlaßt mich, zu glauben, daß alles nutzlose Wissen im Gehirn zu schwären scheint und so eine unvermeidliche Qual hervorbringen muß, aus der es kein Entrinnen gibt.
    Doch erleide ich nicht genug Qualen?
    Ich glaube nicht, daß ich schon einmal eine so schreckliche Jahreszeit wie diese erlebt habe.
    Ich bemühe mich, alles aus meinen Gedanken zu verbannen, worüber ich nicht nachdenken will, beispielsweise Emilias Ab-reise, und mich einzig und allein darauf zu konzentrieren, mir eine Zukunft zu sichern, die angenehmer ist als diese wahnwitzige Gegenwart.
    Von dem englischen Lautenisten habe ich keine Antwort erhalten. Ich bin überrascht, daß er so zaghaft ist. Ich schließe daraus, daß ihm Emilia nichts bedeutet. Ja, vielleicht hat er schon eine neue Geliebte gefunden und denkt nicht mehr daran, eine Person zu heiraten, die sich ein Huhn als Haustier hält und deren Herz diesem verrückten Kind, ihrem Bruder, gehört. Das würde ich ihm gar nicht mal übelnehmen. Das einzig Ärgerliche ist, daß ich demzufolge noch nicht im Besitz der Dokumente bin, mit denen ich Druck auf König Gustav von Schweden ausüben könnte, und nun nicht weiß, wie ich sie bekommen soll, es sei denn, ich mache mich selbst auf den Weg nach Frederiksborg und stehle sie. Wäre ich doch ein Floh und könnte ganz klein werden und im Nu dorthin hüpfen oder eine Eule, die durch die Nacht fliegt und alles sieht, was es in einer schlafenden Welt zu sehen gibt!
    Ich lebe jetzt schon so lange ohne meinen Geliebten, daß ich behaupte, es gibt Tage, an denen ich mich mit seiner Abwesenheit schon fast abgefunden habe. Aber zwischen meinen resignativen Anfällen wünsche ich mir immer wieder leidenschaftlich, ihn in meinen Armen zu halten. Ich brenne darauf, ihn zu berühren. Ich beiße ins Kissen und verstümmle den Federkiel des Zauberers. Das sind die Zeiten, in denen ich weiß, daß ich ein Mittel finden muß – egal wie hinterhältig –, um zu ihm nach Schweden zu gelangen.
    Und so überlege ich, daß man in dieser Gesellschaft, die ein Sumpf aus Lügen und Heuchelei ist, manchmal am besten fährt, wenn man so tut, als besitze man ebendas, was man nicht besitzt. Denn bei den Menschen ist die

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