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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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finden …«, meint Mr. Claire schwach.
    »Nun«, sage ich, »mir ist ein Gerücht zu Ohren gekommen, daß sie verheiratet worden und nach Deutschland gegangen ist. Doch in Jütland sind Gerüchte wie der Wind. Sie werden die Kamine hinunter und durch die Ritzen unserer Wände geflüstert. Wer kann daher schon sagen, ob es wahr ist oder nicht?«
    Meine Worte scheinen im Ohr des Lautenspielers einen plötzlichen Schmerz hervorzurufen. Er bedeckt es mit der Hand und schreit auf. Weil ich fast in Versuchung gerate, Mitleid mit ihm zu empfinden, gehe ich rasch aus dem Zimmer und sage, ich werde ihm den Arzt schicken.
    Um mich von meinen freundlichen Gefühlen zu heilen, hole ich die Briefe des Königs, weil ich weiß, daß sie mich in eine hübsche Wut versetzen werden. Und in dieser Hinsicht enttäuschen sie mich auch nicht. Ich ersehe nämlich aus ihnen, daß sich das Herz des Königs so grausam gegen mich verhärtet hat, daß nichts von seiner früheren Zuneigung (nicht einmal der Name »Mäuschen«) übriggeblieben zu sein scheint. Er hat mir zwar meine Sklaven geschickt, erklärt aber, daß dies das allerletzte sei, was er je für mich tun werde. Er wolle sich auch gegen meinen Willen von mir scheiden lassen, um Vibeke zu seiner neuen Frau zu machen.
    Daß Vibeke Kruse mit ihrem fetten Arsch und ihren zwickenden Elfenbeinzähnen meinen Platz einnehmen und Beinahe-Königin von Dänemark werden soll, ist dermaßen beschämend, daß ich behaupten möchte, daß ich mich von dieser Mitteilung niemals wieder erholen werde. Ich hatte mir bei meiner Abreise vielmehr vorgestellt, der König werde sich nach mir verzehren und immer und ewig über den Verlust seiner einzigen Maus seufzen. Doch dem ist nicht so. Und daraus schließe ich, daß es auf dieser Welt nichts gibt, was absolut und aus sich heraus von Dauer ist.
    Ich gehe in Vibekes früheres Zimmer, wo Samuel und Emmanuel auf mich warten, und sage ihnen, ich würde gern, wenn sie den Weg zu irgendeinem anderen Universum kennen, auf sanften Flügeln von schwärzester Färbung dorthin fliegen.

DER GRÜNE BALDACHIN
    Am 1 . Mai taucht Pastor Erik Hansen wieder im Haus der Tilsens auf.
    Er hatte seine Werbung um Emilia eigentlich erst im Spätsommer fortsetzen wollen, doch nun hat er sich in der kurzen Zeit daran gewöhnt, an Emilia als seine künftige Frau zu denken , so daß die Kluft zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte, unerträglich groß geworden ist. Enttäuscht darüber, daß ihm Gott seine erste Frau genommen hat (die er geliebt hatte), betet Hansen nun darum, nicht ein zweites Mal vom Glück ausgeschlossen zu werden.
    Er vertraut Johann Tilsen an, daß er für Emilia keinerlei Aussteuer verlangen, sondern sie nehmen will, wie sie ist. Er sagt: »Ich weiß, daß ich kein schöner Mann bin. Ich weiß, daß Emilia vielleicht lieber einen Mann mit mehr Haaren auf dem Kopf hätte. Doch gerade meine Kahlheit kann sie als Beweis für meine Ehrlichkeit ansehen, denn könnte ich sie nicht, wenn ich wollte, mit einem Hut verdecken? Außerdem meine ich, daß sie, wenn sie mir ins Herz blicken könnte, dort Gefühle vorfinden würde, die man als schön bezeichnen könnte.«
    Johann sieht Erik Hansen an. Dieser hat etwas rührend Einfaches – oder sogar Farbloses – an sich, als habe er immer in einer Gegend gelebt, in der er verborgen bleiben mußte. Seine kleinen Augen sind strahlend und unruhig und seine Gesten beredt. Seine Erscheinung entspricht in jeder Hinsicht dem, was er ist: ein Mann, der – jenseits der eintönigen Landschaft, in der er gelebt hat – eine Zukunft erblickt hat, die verlockender ist als alles, was er bisher gesehen hat.
    »Emilia hat zu mir gesagt«, meint Johann, »daß sie im Augenblick nicht zu heiraten wünscht. Sie nennt mir aber keine Gründe dafür, so daß wir vielleicht annehmen dürfen, daß es keine gibt – jedenfalls keine besonderen, die sie in Worte fassen kann – und ihr ›Wunsch‹ nicht mehr als ein unbestimmtes Gefühl ist.«
    »Vielleicht hängt es auch mit ihrem Bedürfnis zusammen, Euch hier den Haushalt zu führen und sich um Marcus und Ulla zu kümmern …«
    »Nein, ich glaube nicht, daß es das ist. Ich meine, daß diese Abneigung in ihrer Natur liegt, seit ihre Mutter gestorben ist, und ihr nie der Gedanke gekommen ist, dagegen anzukämpfen.«
    Pastor Hansen preßt seine weißen Hände inbrünstig aneinander.
    »Ich flehe Euch an, Johann«, sagt er, »bittet sie, jetzt dagegen anzukämpfen! Ich würde alles

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