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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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ausgestreckter Hand dastehende Mutter. Sie nimmt diese Hand, und dann gleiten sie davon, wie sie es immer getan haben, sie beide zusammen, Arm in Arm …

    Als sie später wieder zu Hause ist, ruft ihr Vater sie zu sich.
    »Emilia«, sagt Johann zu ihr, »ich habe über Herrn Hansens Heiratsantrag nachgedacht und halte ihn für gut. Du glaubst jetzt, daß du nicht heiraten möchtest, doch prüfe dein Herz ein bißchen genauer! Ich bin sicher, daß es darin eine Ecke gibt, in der du lieber …«
    »Lieber was …«
    »Nachgeben würdest. Du widersetzt dich mir schon so lange, und ich glaube, daß du dessen müde bist.«
    Emilia geht zu ihrem Vater, der jetzt älter aussieht als damals, als Magdalena ins Haus kam, und drückt ihm einen leichten Kuß auf die Wange. »Ich tue, was immer du von mir verlangst!« sagt sie.
    Er umarmt sie, seine Älteste, die ihn noch immer an seine erste Frau erinnert, ja sogar wie diese riecht und das gleiche Lachen hat. »Gut!« sagt er. »Dann laß mich Herrn Hansen sagen, daß ihr noch im Sommer heiraten werdet. Eine Hochzeit im Juni wäre doch schön, nicht wahr?«
    Eine Hochzeit im Juni. Sie sieht den Wald vor sich: Sie trägt ein hauchdünnes Gazekleid, liegt unter dem Baldachin, der jetzt von einem dunkleren, tieferen Grün ist, und ihr Leichnam, von den Bändern in ihrem Haar bis zu ihren weißen Satinschuhen, liegt im Schatten. Ein paar durch die Tauben abgelöste Blätter schweben auf ihren Körper, als wären es von den Hochzeitsgästen gestreute Rosenblätter …
    »Ich denke darüber nach«, antwortet Emilia. »Ich denke über eine Hochzeit im Juni nach.«
    »Nun, denk nicht zu lange darüber nach! Herr Hansen ist ein ehrenwerter Mann, Emilia. Wenn du erst verheiratet bist, dann beginnt dein eigenes Leben!«
    Wie seltsam, denkt Emilia hinterher, daß mein Vater das gesagt hat – daß mein Leben dann beginnt. Wie abwegig die Menschen doch oft in ihrem gedankenlosen Optimismus sind! Nur Karen sieht alles klar. Nur Karen versteht, daß etwas Begonnenes nirgendwohin führt, sondern zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrt.
    Das ist die Zeit, die sie immer anzeigen wird.

»IRGENDWO HOCH OBEN IM NORDEN«
    Peter Claire blickt trostlos ins Zimmer.
    Da sein ganzer schmerzender und schwitzender Körper Ruhe braucht, ist er froh über das Bett mit der warmen Zudecke, in dem er liegt, und über das ständige Kommen und Gehen der Bediensteten, die ihm erfrischende und stärkende Getränke und Häppchen bringen, die er allerdings nicht essen kann. Er weiß, daß er inzwischen tot wäre, wenn man ihn auf der Straße liegengelassen hätte.
    Er ist jedoch Kirstens Gefangener.
    Sie hat ihm das gesagt und dabei gelacht. Da er zu schwach ist, um sich zu bewegen oder zu protestieren, ist er auf Gedeih und Verderb ihren Launen und Wünschen ausgesetzt, ganz gleich, welche das sein werden.
    Sie besucht ihn jeden Tag, rauscht nach einem durchdringenden Gewürz riechend ins Zimmer und legt ihm ihre kühle, weiße Hand auf die Stirn. »Erstaunlich!« sagt sie über sein anhaltendes Fieber, »wenn man Euch um die Erde kreisen ließe, würdet Ihr wie ein Komet glühen, Mr. Claire!« Wenn sie wieder geht, schließt sie hinter sich ab.
    Er träumt von Emilia. Hier auf Boller, an dem Ort, wo er sie zu finden glaubte, kehrt sie zu ihm zurück, wie es Tote tun, beschränkt auf pathetische Gesten voller Traurigkeit oder Vorwurf, als ein nicht körperhaftes Wesen, das verblaßt und verschwindet, wenn es wieder hell wird. Der Gedanke, daß sie tatsächlich tot sein könnte, erfüllt ihn mit einem solchen Entsetzen, daß er sich die Hände vors Gesicht schlägt und zu beten beginnt: »Laß auf dieser Welt geschehen, was du willst, aber nicht dies!« Denn er ist noch immer auf dem Weg zu ihr. So jedenfalls empfindet er es in der Tiefe seines fiebernden Verstandes. Der Verlust seiner Laute, der Diebstahl seines Geldes und des Knopfbeutels vom König, die Schmerzen in seinem Körper, seine Einkerkerung auf Boller: all dies ist nur ein Zwischenspiel auf der Suche nach ihr. Er wird sich irgendwie so weit erholen, daß er sie wiederaufnehmen kann.
    Doch wohin soll er sich wenden? Er erinnert sich, daß Emilias Vaterhaus in Jütland ist, und fragt Kirsten, wie weit es von Boller entfernt ist.
    »Oh«, erwidert sie, »es ist irgendwo hoch oben im Norden. Ich weiß nicht genau, wo. Ich glaube aber sowieso nicht, daß sie dort ist, Mr. Claire. Ich sagte Euch ja schon, daß mir das Gerücht zu Ohren gekommen ist, daß sie

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