Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
tun, was ein Mann nur tun kann, um sie glücklich zu machen. Sie bekäme ausreichend Dienerschaft, und ich würde sie nicht zu sehr mit Kirchenarbeit belasten. Sie hätte einen kleinen Salon, den von meiner Frau, ganz für sich allein. Der Salon wird gerade grün gestrichen, doch wenn Emilia diese Farbe nicht gefällt, nun, dann …«
»Ihr braucht nichts weiter zu sagen, Herr Hansen, denn ich bin ganz dafür!« erklärt Johann.
»Und Ihr sprecht mit ihr?«
»Warum sprecht Ihr nicht selbst mit ihr?«
»O nein! Das kann ich nicht. Ich bin zu nervös. Ich wüßte nicht, wann ich eine Pause einlegen oder aufhören sollte. Ich würde vielleicht eine Predigt halten …«
Emilia weiß, daß Erik Hansen wieder da ist. Sie sieht sein Pferd und hört seine Stimme. Ihr ist klar, daß es nicht lange dauern wird, bis sie zu ihrem Vater zitiert wird und die lästige Frage der Zuneigung des Pastors zu ihr noch einmal auf den Tisch kommt.
Sie findet das alles abstoßend und erschreckend und unerträglich. Sie wünschte, so etwas wie Heirat gäbe es nicht. Sie wünschte, sie wäre alt und grau und könnte in Ruhe gelassen werden.
Sie zieht den Mantel an und läuft zum Haus hinaus. Die Frühlingskälte hält zwar bei dem Nordwind noch immer an, doch die Obstfelder liegen in der Sonne, als Emilia jetzt über diese auf den Wald zueilt, wo die Buchen endlich ihr sattes Grün sprießen lassen.
Sie will sich im Wald verbergen. Sie möchte gern so klein und gespenstisch werden wie einst Marcus, so wesenlos, daß nie wieder ein Mann an ihre körperliche Existenz glaubt.
Sie geht zu dem Baum, wo sie die vergrabene Uhr gefunden hat, und setzt sich darunter. Dabei wickelt sie den Mantel so fest um sich, daß sie eine ganz unförmige Gestalt wird, und beginnt zu weinen. Sie weint ganz leise vor sich hin. Der Gesang der Vögel wird dadurch nicht gestört, und neben ihren Füßen scharrt eine Wühlmaus in den alten, trockenen Blättern.
Zeig Mut, Emilia!
Karens Stimme kehrt nun ganz deutlich zu ihr zurück, so echt und nah, als stehe diese plötzlich im Wald und sehe auf sie. Daher hebt Emilia den Blick, senkt ihn aber wieder, als sie die Sonne im Gesicht spürt, und läßt ihn auf dem Buchenbaldachin ruhen, der noch zart wie Spitze ist und dessen ganze Herrlichkeit noch bevorsteht. Und beim Betrachten der Bäume, der Himmelsmuster, die vom Frühling, von Wiederauferstehung und der Wiederkehr und dem Fortbestehen aller Dinge sprechen, begreift Emilia schließlich, was ihre Mutter ihr immer sagen wollte.
Karen hat nie von der Art Mut gesprochen, die man bei den täglichen Angelegenheiten benötigt. So drängt sie auch jetzt ihre Tochter nicht, Stärke angesichts eines für sie neuen Schicksals als Ehefrau Erik Hansens zu zeigen. Im Gegenteil, Karen allein hat verstanden, warum dies unmöglich ist und nicht zugelassen werden darf.
Daß Karen den rechten Augenblick abgewartet hat, nicht zu laut rief, sondern erst einmal sehen wollte, ob das, was auf Rosenborg seinen Anfang nahm, vielleicht in eine schöne Zukunft führte, ist ein weiterer Beweis für die Botschaft, die sie übermitteln wollte. Denn Karen ist die einzige, die völlig versteht, warum ein Leben ohne Liebe nicht lebenswert ist. Sie wird nicht zulassen, daß ihre Tochter ein solches Leben führt.
Karen sagt zu Emilia: »Zeig den Mut, zu mir zu gelangen, wo immer ich auch bin. Glaube daran, daß ich dasein werde, wenn du kommst, daß ich auf dich warte, seit ich dich verlassen habe.«
Karen ist jetzt so nah, daß Emilia zu weinen aufhört und ihr seltsam leicht ums Herz wird. Sie fühlt sich fast aufgeregt, froh und erleichtert, wie jemand, der sehr lange nach etwas gesucht und es schließlich im eigenen Obstgarten gefunden hat.
Zeig Mut, Emilia!
Warum hat sie das nicht früher begriffen? Jetzt ist es ihr so wunderbar klar, als stehe es überall im Wald geschrieben und als sei es im Muster der Buchenblätter vor dem Himmel eingegraben.
Sie wird nicht die Frau eines Pastors.
Sie wird nicht, bis sie alt ist, den Haushalt ihres Vaters führen und die Mutter von Magdalenas Kind sein.
Sie wird zu Karen gehen. Am Ende wird sie, und nicht die Uhr, unter dem grünen Baldachin der Buche liegen.
Und wird es schließlich nicht sogar einfach sein? Sie muß nur ein Fläschchen weißes Gift kaufen, so wie Kirsten bei ihrem Apotheker. Und dann wird es sein, als laufe sie ganz allein auf einem zugefrorenen Fluß Schlittschuh und treffe an der Biegung des Flusses auf ihre mit
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