Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
Vom Netzwerk:
vertreiben.
    Sie lächeln mich an. Mir fällt auf, daß sie ein wenig gewachsen sind, seit ich sie zuletzt gesehen habe, und nun nicht mehr wie Knaben, sondern wie wunderbare junge Männer wirken. Niemals hätte ich geglaubt, so etwas Schönes je zu Gesicht zu bekommen. Und ich kann es nicht lassen, mich danach zu sehnen, sie zu berühren – ihre Gesichter und Ohren, ihr Haar, ihre Fingernägel, die wie Muscheln aussehen, und ihre goldgeschmückten Uniformen –, als bestünden sie aus etwas anderem als bloßem Fleisch, was sich nie verändern oder sterben würde.
    Aus einer Laune heraus führe ich sie nicht zu den Dienstbotenräumen, sondern in Vibekes früheres Zimmer, und sage ihnen, daß sie da – auf dem Orientteppich – schlafen und ihre wenigen Besitztümer in der Eichentruhe verstauen sollen. Und plötzlich gefällt mir die Leere des Raums. Ich stelle mir vor, wie ich an einem solchen Ort mit Samuel und Emmanuel ein Miniaturuniversum innerhalb des größeren schaffen und mich in dieser Miniaturwelt völlig verlieren werde.
    Ich war so in den Anblick meiner Sklaven und dem Ausmalen aller möglichen Wildheiten mit ihnen vertieft, daß ich erst ein wenig später bemerkte, als mich der Kutscher darauf aufmerksam machte, daß sich im Wagen noch eine dritte Person befand.
    Es stellte sich heraus, daß der Kutscher, als er durch das Dorf Høgel fuhr, auf einen Mann stieß, der vor ihnen auf der Straße lag. Er zügelte die Pferde, stieg ab und sah, daß es jemand war, den er kannte – »jemand«, sagte er, »der zum Orchester Seiner Majestät gehörte«.
    Ich bekam bei diesen Worten vor Erwartung ganz große Augen, da ich wußte, daß es nur einen Musiker gab, der nach Jütland reisen würde, und es also Emilias früherer Geliebter Peter Claire sein mußte. Nun also sollte er mir wie ein Geschenk des Himmels ganz und gar in die Hände fallen! Ich konnte nicht verhindern, daß sich mein Gesicht zu einem kleinen Lächeln verzog, denn wenn etwas wirklich Unerwartetes geschieht, steigt in mir eine nicht unterdrückbare Erregung auf, als sei mir erzählt worden, ich bekäme mein ganzes Leben zurück.
    »In welchem Zustand befindet sich dieser Mann?« fragte ich.
    »Er lallt, Madam«, sagte der Kutscher, »und redet irre. Er hat nämlich einen Schlag auf den Nacken bekommen, und ihm ist alles weggenommen worden, auch sein Instrument. Wir haben ihn aufgehoben und zu Samuel und Emmanuel in die Kutsche gelegt, und sie sagen, sie hätten in ihrer Sprache mit ihm gesprochen und Geister aus den Wolken heraufbeschworen, um zu helfen, ihn gesund zu machen.«

    Peter Claire.
    In seinem blonden Haar klebt Blut. Er hält die blauen Augen geschlossen. Sein Körper, der kalt war, als er hereingebracht wurde, scheint sich nun zu einem heftigen Fieber zu erhitzen.
    Es käme mir ungelegen, wenn er sterben würde, denn wer weiß, ob dann nicht manche sagen würden, ich hätte ihn getötet? Außerdem halte ich jetzt, da ich ihn hier habe, so ganz und gar als meinen Gefangenen, auch Emilias Schicksal in meinen Händen und kann tun, was immer mir beliebt, um Rache an ihr zu nehmen.
    Ich gestehe, daß mich ihre Abwesenheit sehr belastet. Wenn ich allein am Feuer sitze, fällt mir wieder ein, was für eine angenehme Gesellschafterin sie für mich war, eine, die – so dachte ich – tun würde, was immer ich von ihr verlangte. Doch dann begriff ich, daß mich Emilia nicht wirklich liebte , und bei diesem Gedanken werde ich so wütend, daß ich mir vorstellen kann, ihren Kopf gegen die Wand zu schlagen. Und warum soll dieses Mädchen, das Zuneigung für mich nur geheuchelt und nicht wirklich empfunden hat, eine wunderbare Zukunft mit einem hübschen Mann bekommen, während ich alles verloren habe, was ich einstmals besaß, und meinen Geliebten vielleicht in meinem ganzen Leben nicht wiedersehe?
    Ich ordne an, dem Lautenspieler Kompressen auf die Stirn zu legen und ihm ein bißchen Blut aus dem Arm zu lassen, um das Fieber zu senken. Es dauert nicht lange, und er kommt wieder zu Bewußtsein. Er sieht mich erstaunt an und fragt sich, möchte ich behaupten, wie er hierhergekommen ist.
    Dann hebt er den Kopf und blickt sich im Zimmer um, als wolle er sehen, ob seine Geliebte wie ein graues Huhn unter der Truhe oder hinter den Vorhängen lauert. Daher sage ich rundheraus: »Emilia ist nicht hier. Sie hat mich verlassen. Wir hatten nämlich einen heftigen Streit, und daher habe ich wirklich keine Ahnung, wohin sie gegangen ist.«
    »Ich muß sie

Weitere Kostenlose Bücher