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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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entgegenreiten!«
    Sie bestiegen zwei eigensinnige Pferde aus der Zucht des arabischen Hengstes, der Christian einst von einem Schneidergesellen geschenkt worden war. Sie ritten so lange in einem fürchterlichen Galopp durch die Wälder in Richtung Osten, bis die Pferde von weißem Schweiß bedeckt waren. Sie ließen sich von keinen Hindernissen auf ihrem Weg aufhalten, sondern setzten einfach darüber. Erst als die Sonne aufging und es warm wurde, hielten sie an, tranken aus einem Fluß und gönnten ihren Pferden im Baumschatten etwas Ruhe.
    »Also«, sagte Christian, »jetzt sind wir allein. Außer uns beiden, den Pferden und dem Wald ist hier nichts und niemand. Und du wirst mir nun erklären – noch bevor dieser Tag beginnt und mein Leben eine neue Richtung einschlägt –, was mit dir los ist!«
    Bror beugte sich vor und tauchte sein Gesicht in das süße Wasser des Bachs. Er hielt es dort so lange, daß man meinen konnte, er wolle nicht wieder auftauchen. Doch dann hob er den Kopf und wischte sich das Wasser aus den Augen. Die durch die Buchenzweige scheinende Sonne hatte ihn mit gesprenkelten Schatten überzogen. Er sah Christian nicht an, sondern in die Ferne, wo er etwas im Adlerfarn erspäht zu haben schien. »Ich bin zu dem Schluß gekommen«, sagte er dann, »daß der Geist eines Menschen einem Stück gewebten Stoffs gleicht. Und mein Problem ist, daß meiner …, so scheint es mir jedenfalls, … in Fetzen ist.«
    »Du meinst, du bist verwirrt?«
    »Eine Verwirrung hat gewöhnlich ein Ende. Doch diese einzelnen Fäden … ich scheine sie nicht wieder zu einem Ganzen verweben zu können …«
    Christian sagte nichts darauf, sondern blickte seinen Freund nur ernst und unverwandt an. Schließlich meinte er: »Und warum ist das mit dir geschehen, Bror?«
    Bror nahm zwei Steine aus dem Wasser und rieb sie in der Hand aneinander, so daß sie einen seltsam süßen Pfeiflaut, ähnlich dem einer Feldlerche, von sich gaben. »Ich weiß es nicht …«
    »Es muß aber doch Zeichen oder Hinweise gegeben haben?«
    Bror wandte sich erneut dem Fluß zu, nicht, um daraus zu trinken, sondern nur, um sich das Wasser durch die Finger rinnen zu lassen, bevor es zu breiteren Flüssen und dem Meer weiterplätscherte. »Vielleicht«, sagte er schließlich, »vielleicht, weil ich nie, seit dem Tag, an dem wir die Rakete abgeschossen haben …«
    »Was nie?«
    »Nie auf dieser Welt … seit mich die Königin weggeschickt hat … eine Beschäftigung für mich gefunden habe.«
    Christian schwieg. Ihm gingen die tausend Pfründen, die er verleihen konnte, durch den Kopf, doch fielen ihm im Augenblick keine ein, die beim Empfänger nicht die Fähigkeit, zu lesen und zu schreiben, erforderten. Er überlegte, ob er Bror Brorson mit einer untergeordneten Tätigkeit betrauen sollte. Gewiß könnte er ihn doch als Stallburschen für seine Pferde sorgen lassen? Doch was wären die Konsequenzen einer solchen Anstellung? Wie wäre es für ihn, wenn er an den Ställen vorbeiging und daran denken mußte, daß dort jetzt sein Freund wohnte, in einem Zimmer über den Ställen?
    Dann kam Christian der Gedanke, daß Brors Horror vor geschriebenen Wörtern und seine Probleme damit inzwischen vielleicht der Vergangenheit angehörten. Er hob vom taubedeckten Gras einen Zweig auf und schrieb in den Staub auf dem Weg seinen Namen:Dann reichte er den Stock Bror. Dieser wußte, was von ihm erwartet wurde, und begann heftig zu blinzeln, als würde er geblendet. Dann beugte er sich tief über den Weg und malte mit der ernsten Konzentration eines Kindes einen einzigen Buchstaben, hinter den er einen Punkt setzte. Es war nicht ganz ein »B«, aber auch nicht ganz ein »R«, mehr wohl ein »R«, dem es leid ist, ein »R« zu sein, und das nun gerade danach strebt, ein »B« zu werden.
    Bror sah zu Christian auf, und Christian blickte auf die Buchstabenkreuzung. Abgesehen von dem Rauschen des Flusses auf seiner ewigen Reise über sein steiniges Bett herrschte Stille.
    »Macht nichts, Bror!« meinte Christian schließlich. »Heute jedenfalls habe ich eine herrliche Beschäftigung für dich! Du nimmst am Turnier teil, und ich möchte um mein Leben wetten, daß du gewinnst!«
    »Ich will es versuchen«, sagte Bror. »Um deinetwillen will ich versuchen zu gewinnen.«

    Das war alles, was getan werden konnte.
    Diesen Satz sollte sich König Christian sein Leben lang immer wieder vorsagen, sooft er sich kummervoll an Bror Brorson erinnerte. Am Tag seiner Krönung

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