Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
schon immer mit den Adligen der Rigsråd um die Macht kämpfen müssen, doch während ihn dieser Kampf – der vor langer Zeit mit der Explosion einer Rakete vor dem Gerichtsgebäude begann – früher begeisterte, verursacht er ihm nun bitterlichen Schmerz. Denn die Wahrheit ist, daß ihm diese Männer nicht mehr den Respekt entgegenbringen, den er ihnen früher abnötigte. Seine Probleme mit Kirsten, die er unmöglich vor der weiten Welt verheimlichen konnte, setzen ihn herab und schwächen ihn in den Augen der Adligen.
Pikiert von dieser Erkenntnis, die bedeutet, daß seine große Rede unbeachtet bleiben und nichts erreichen wird, stellt sich der König vor, wie er seine mächtige Faust hebt und sie so heftig auf den Ratstisch donnern läßt, daß die Papiere, die er mitgebracht hat, in die Luft fliegen und ein schwerer goldener Smaragdring, den einer der Adligen abgenommen hat, damit sich seine Finger von dem Gewicht erholen können, hochspringt und auf dem Boden landet. Sogleich tastet der Mann diesen danach ab.
»Laßt den Ring!« brüllt König Christian. »Wir bücken uns nicht mehr nach Edelsteinen und Reichtümern! Wir sind eine Volksschicht geworden, die zum Sklaven des Übermaßes geworden ist, und ein jeder von uns sollte sich deshalb voller Scham vor Gott beugen. Und ich bin Gottes Stellvertreter auf Erden und verkünde euch nun heute, daß wir lange genug der Selbstverherrlichung gefrönt haben und daß dies jetzt der Vergangenheit angehört.«
Hier schöpft der König Atem. Hören ihm die Ratsherren endlich zu? Er fährt fort. Er warnt sie, daß ein schwaches Dänemark keinen Bestand haben wird, sondern nur »ein namenloses Land unter Schwedens Macht« sein wird. Er fragt: »Soll euer König eine Wüste regieren? Ist das die Zukunft, in die ihr mich führt? Stellt euch diese Wüste vor! Was würde ich vorfinden, wenn ich eine Handvoll dieses Wüstenbodens aufheben würde? Ich sage euch, daß ich den Staub des Bedauerns, den Sand der Reue finden würde. Und diese Wüste kann durch noch soviel Weinen nicht wieder zum Erblühen gebracht und zu dem gemacht werden, was sie früher einmal war. Was sie früher einmal war, ist dann für immer verschwunden!«
Hier legt er eine Pause ein. Herrscht Schweigen im Raum? Und wenn ja, was denken die Adligen? Christian stützt seinen großen Kopf in die Hände. Er weiß, daß seine Rede zum Scheitern verurteilt ist und er sie nie halten wird. Er hätte gern ein Gesetz gegen sinnlose Eitelkeit erlassen, doch wie kann er erwarten, daß die Rigsråd ein solches ratifiziert, wo doch alle wissen, daß Kirsten gleichgültig dem gegenüber ist, was sie »die angebliche Armut Dänemarks« genannt hat, gleichgültig dem gegenüber, wie oder wo das Geld für ihre Kleider und ihren Schmuck, ihren Frauenzirkel, ihre Abendgesellschaften und Vergnügungen aufgetrieben wird. Solange Kirsten in Rosenborg ist, wird es kein solches Gesetz geben, und das ist die herzzerreißende Wahrheit.
Müde steht der König auf. Vom Fenster aus blickt er auf einen erhabenen und schönen Sonnenaufgang. Die Natur weiß nichts von der Schmach eines Landes.
Er zitiert Peter Claire herbei, der sich bei seinem Kommen noch schlaftrunken die blauen Augen reibt.
Dem Lautenisten wird gesagt, er solle leise spielen, und der König hört sich den jungen Engländer fragen, ob er alle ausländischen Musiker rauswerfen und durch Dänen ersetzen sollte.
Peter Claire sieht ihn alarmiert an, faßt sich dann aber so weit, daß er sagen kann: »Mit dieser Maßnahme würdet Ihr zwar Geld sparen, Euer Majestät, doch glaube ich nicht, daß Ihr mit dem Ergebnis zufrieden wärt. Die liebliche Klangvielfalt dieses Orchesters liegt, dessen bin ich mir sicher, in unseren unterschiedlichen Ursprüngen.«
Der König legt sich ins Bett. Die Musik und sein Engel neben ihm haben ihn beruhigt, und nach einer Weile schläft er ein.
Als er aufwacht, wird er davon unterrichtet, daß ihn sein Arzt, Doktor Sperling, sprechen möchte. Ihm werden Brot und Rahm gebracht, doch er hat keinen Appetit und schickt das Essen wieder weg.
Er sehnt sich nach frischer Luft und nimmt den Arzt daher zu einem Spaziergang in den Park mit. Es ist ein schöner Tag geworden, und seine Lieblingsrosen blühen noch.
Doktor Sperling hat einen grimmigen Gesichtsausdruck, doch er scheint sich gleichzeitig zu bemühen, ein heimliches Lächeln zu unterdrücken, als er sagt: »Sir, es macht mich zwar sehr unglücklich, Euch mit dieser Angelegenheit zu
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