Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
belästigen, doch sie beschäftigt mich dermaßen, daß ich sie nicht verdrängen kann. Deshalb habe ich nun das Gefühl, daß ich mit Euch sprechen muß …«
»Dann sprecht mit mir, Doktor!«
»Es handelt sich um eine Angelegenheit, die Eure Frau betrifft …«
»Wenn es Kirsten betrifft«, meint der König, »muß ich es natürlich hören.«
Sie gehen weiter. Der Duft der Rosen erinnert Christian an seine Mutter, die in ihren jungen Jahren gern eine Schale Rosen in ihrem Schlafzimmer hatte.
Die Schritte des Arztes werden langsamer und stockender, und es gelingt ihm, sein Lächeln verschwinden zu lassen, als er sagt: »Sir, ich muß Euch davon in Kenntnis setzen, daß ich, als ich bei Lady Kirsten war …, obwohl sie sich nicht untersuchen ließ …«
»Ja?«
»Nun, Euer Majestät … weil sie auf den Bauch fiel und nur das dünne Nachthemd trug, konnte ich …«
»Was konntet Ihr?«
»Konnte ich ein paar anatomische Beobachtungen machen. Ich konnte deutlich sehen … so meinte ich jedenfalls … daß sich das Kind schon zeigt. Und soviel kann ich sagen: Kein Kind ist im Mutterleib ganz so deutlich sichtbar, wenn nicht schon ungefähr drei Monate vergangen sind, und daraus schließe ich …«
Der König erwidert nichts, sondern geht nur mit so ausladenden Schritten weiter, daß Sperling nun einen kleinen rutschenden Lauf vollführen muß, um mitzukommen.
Sie haben den Rosengarten hinter sich gelassen und befinden sich in einer Lindenallee, wo es schattig und kühl ist. Der König sieht Doktor Sperling nicht an, sondern zu den Linden, als wolle er feststellen, ob es irgendwelche Anzeichen von Absterben oder Schwäche gibt. Als sie das Ende der Allee erreichen, wendet er sich an den Arzt und sagt: »Vielen Dank, Doktor Sperling!«
Der Doktor öffnet den Mund, um genauer auszuführen, was ihm an Kirstens Schwangerschaft aufgefallen ist, doch der König hebt die Hand, um ihm das Wort abzuschneiden. »Danke für Eure Beobachtungen!« wiederholt er.
Sperling sieht verwirrt aus (fast sogar enttäuscht, als habe man ihn der Chance beraubt, ein Gedicht aufzusagen, das er auswendig gelernt hat). Er hat jedoch keine andere Wahl, als sich zu verbeugen und zurückzuziehen.
Christian wartet, bis er außer Sichtweite ist, und setzt sich dann auf eine Steinbank, die zwischen zwei Löwenskulpturen steht. Er spielt mit seiner Locke. Sein Blick schweift über den Park zu seinem geliebten Palast, seinem kleinen Rosenborg, den er für Kirsten, in Verherrlichung seiner Liebe zu ihr, gebaut hat, und es treten ihm Tränen in die Augen. Er braucht nicht zu fragen, wer Kirstens Geliebter ist. Er weiß es. Er hat sie während der Kriege mit dem Grafen Otto Ludwig in Werden tanzen sehen. Er hat ihr verzücktes Gesicht gesehen, mehr war nicht nötig. Er weint, erst leise, doch dann wird sein ganzer Körper von einem schrecklichen Geheule geschüttelt, das er schon seit Tagen und Monaten in sich gehört zu haben schien und das nun herauskommt.
Er ist weit vom Palast entfernt, und niemand hört ihn. Er versucht sich die Tränen mit seiner heiligen Locke abzuwischen, doch diese sind so reichlich, und sein Haar wird allmählich schon dünn. Er denkt an seine große Ansprache, die auf seinem offenen Sekretär liegt. In Gedanken rollt er sie auf, bindet ein schwarzes Band darum und legt sie in die muffige Tiefe eines Kabinetts, wo er nur selten hingeht.
GERDA (II)
Als sich Peter Claire hingesetzt hat, um einen Brief an seinen Vater und Charlotte zu schreiben, packt er die weißen Bänder aus und sieht sie sich an. Eins davon – das teuerste – hat einen eingewebten Goldfaden.
Gleich als er sie in die Hand nimmt, weiß er, daß er sie nicht Charlotte schicken wird. Sorgfältig legt er sie im Päckchen zurecht und verschnürt es. Er hat beschlossen, daß die weißgoldenen Bänder seine Boten zu Emilia sein sollen.
Er schreibt eine schlichte Mitteilung:
Meine liebe Miss Tilsen,
dies sind die Farben meiner Liebe.
Bitte sagt mir, wann ich mit Euch im Park spazierengehen darf.
In tiefer Aufrichtigkeit
Peter Claire, Lautenist
Er weiß, wo ihr Zimmer ist, nämlich im obersten Stockwerk des Palastes, und er will ihr das Päckchen mit der Notiz nur vor die Tür legen, und zwar zu einem Zeitpunkt, wenn er weiß, daß sie nicht da ist.
Am späten Nachmittag ist sie fast immer bei Kirsten. Er hat flüchtige Blicke auf die beiden Frauen im Garten werfen können, als diese mit Tapisserien, Würfeln oder Kartenspielen an einem Tisch im
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