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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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getroffen, der nicht ein Heuchler war. Und was die Engländer betrifft: Sie stehen im Ruf, kalt zu sein, doch Otto hat im Krieg an ihrer Seite gekämpft und mir erzählt, daß sie die hinterhältigsten Hurenböcke von allen sind!«
    »Nun …«, meint Emilia. »Ich war ihm gegenüber sehr kühl … ich versichere Euch, daß ich ihm keine Hoffnung gemacht habe, und doch …«
    »Unternimm nichts!« sagt Kirsten. »Wenn du ihn zufällig triffst, vermeide es, ihm in die Augen zu sehen. Es wäre unerträglich, wenn er dir das Herz brechen würde, denn würdest du mich dann nicht verlassen und nach Jütland zurückkehren?«
    »Aber nein, ich würde niemals in mein Vaterhaus zurückkehren, Madam!«
    »Wie dem auch sei, ich kann jedenfalls nicht riskieren, daß mich eine solche Katastrophe heimsucht, Emilia. Ich finde heraus, was für eine Art Mann der englische Lautenist ist. Ich decke seine Geheimnisse auf und teile sie dir dann mit, und dann entscheiden wir, wie wir weiter vorgehen.«

»DEM RUIN ENTGEGENGEHEN«
    Kein Silber ist eingetroffen. In den Numedal gesandte Boten sind nicht zurückgekehrt.
    König Christian liegt im Dunkeln und bildet sich ein, er könne tief im Herzen seines geliebten Landes ein Ächzen hören, als sei es wirklich ein Schiff, das gleich mit der ganzen Besatzung untergehen wird. Und am Himmel beginnt sich ein noch schwärzerer Sturm zusammenzubrauen …
    Er versucht zu begreifen, wie sich überall, wo es nie hätte geschehen dürfen, Armut breitmachen konnte. Er schilt sich wegen seiner Manie – aus dem Wunsch heraus, daß alles in Dänemark von höchster Qualität und frei von Schludrigkeit sein soll –, Handwerker aus dem Ausland zu beschäftigen. Denn nun werden ebendiese Leute reich und verfrachten Truhen voll mit dänischem Silber und Gold nach Frankreich, Holland oder Italien, so daß nur noch ein armseliger Teil davon übrig ist.
    Dennoch kann er den Ausländern nicht alle Schuld geben. Wenn Christian in die dänischen Adelshäuser geht, trifft er auf Genuß, Luxus und Verschwendung in einem solchen Ausmaß, daß es ihm den Atem verschlägt. Die Männer benutzen silberne Zahnstocher und werfen sie dann ins Feuer. Sie beleuchten ihre Räume mit zweihundert Kerzen. Sie halten zu ihrem Vergnügen Lamas und Strauße in vergoldeten Käfigen. Sie verfüttern Schwanenfleisch an ihre Hunde. Ihre Frauen machen die neue französische Perückenmode mit, und die französischen Perückenmacher sind die modernen Lieblinge ihrer Welt geworden und werden mit lüsternen Küssen und Samtbörsen voller Daler bezahlt. Die Wiegen sind aus Ebenholz …
    All das muß ein Ende haben!
    König Christian steht auf, ruft nach Dienern, um die Lampen anzuzünden, und setzt sich an seinen Sekretär. Er nimmt den Federkiel und beginnt zu schreiben.
    Er faßt eine bedeutungsvolle Rede ab. Die Nacht ist fast vorüber, als er damit fertig ist. Er will eine außerordentliche Versammlung der Rigsråd einberufen und bei dem selbstzufriedenen Adel mit der Vehemenz seiner Worte Bestürzung auslösen. Er wird verlangen, daß jeder einzelne Adlige daran teilnimmt, doch schon jetzt, als er seine Rede nach den vielen Stunden Arbeit noch einmal liest, kann er in Gedanken die Entschuldigungen seines Kanzlers hören: »… Ihr wißt, es ist Sommer, Euer Majestät, und etwas schwül in Kopenhagen. Viele unserer Ratsherren sind augenblicklich in Jütland, wo es kühler ist …«
    Christian fühlt Zorn in sich aufsteigen wie eine Krankheit, wie eine physische Qual, die herausmuß. »Ich habe euch zusammengerufen«, beginnt die Rede, »weil ich verzweifelt bin. Ich bin euer König. Ich bin der König von Dänemark. Doch was ist Dänemark heute? Wo steht es heute? Ich sage euch, meine Freunde, daß es ein trauriges Land ist! Ich sage euch, es wird dem Ruin entgegengehen!«
    Doch was wird das Schicksal dieser Worte sein? Wer wird sie hören und etwas unternehmen? Christian stellt sich die Gesichter seiner Ratsherren vor: wie dicke, rosa Kartoffeln balancieren sie auf ihren gestärkten weißen Halskrausen. Diese Männer – jedenfalls diejenigen, die sich dazu aufraffen, zur Versammlung zu kommen – werden sich die Rede anhören, ohne daß sich auf ihren Gesichtern auch nur ansatzweise Sorge oder Qual zeigt. Ihr blasiertes Lächeln wird stillschweigend ihr Wissen um ihre eigene unverrückbare Macht und ihre Gleichgültigkeit gegenüber allem außer ihrem eigenen Komfort und ihren eigenen Berechnungen verkünden.
    König Christian hat

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