Melodie des Südens
wissen.
Marianne warf einen Blick auf Sylvies Mutter. »Aber ich kann jetzt nicht weg«, sagte sie.
Gabriel lächelte ihr zu, sah die dunklen Schatten unter ihren Augen. »Lassen Sie mich ein Weilchen hier Wache halten. Ich brauche Sie morgen früh hier frisch und munter, wenn ich möglicherweise die Wunde öffnen muss.« Dann wandte er sich Sylvies Mutter zu und legte ihr eine Hand auf den Arm. »Sie haben nichts dagegen, dass Miss Marianne für ein paar Stunden schlafen geht, oder?«
Irene, deren fadenscheiniges Kleid lose über ihren mageren Schultern hing, senkte den Kopf. »Nein, Sir«, sagte sie und warf ihrer Herrin einen schüchternen Blick zu. »Ich bin froh, wenn sich Miss Marianne ein bisschen ausruht.«
Marcel trat an Mariannes Seite und bot ihr seinen Arm an. Sie zögerte noch einen Moment und sah Pearl an.
»Ich bleibe hier, Miss Marianne, falls der Doktor irgendetwas braucht«, versicherte Pearl ihr. Marianne nahm Marcels Arm und ließ sich von ihm zum Haus führen.
Als der Morgen graute, ließ die Wirkung des Schmerzmittels nach, das Marianne Sylvie gegeben hatte. Das Kind stöhnte, schlug um sich und schrie vor Schmerzen. Der Bauch war angeschwollen, hart und heiß, und Gabriel befürchtete das Schlimmste. Wenn die Zähne der Hunde durch das Bauchfell gedrungen waren, war die Kleine fast sicher dem Tod geweiht. Wenn bei dem Biss auch noch der Darm durchtrennt worden war, hatte sie nur noch ein paar Stunden zu leben.
»Soll ich sie noch mal waschen, Doktor?«, fragte Pearl.
Er nickte. Das Kind wurde mit kaltem Wasser abgewaschen, um das Fieber zu senken, und dann gab er der Kleinen etwas Laudanum. Wenn Miss Johnston zurückkam, würde er die Bisswunden öffnen, um sie zu reinigen. Da war es besser, wenn Sylvie bewusstlos war.
Kurz nach Sonnenaufgang stand die junge Herrin von Magnolias in der Hüttentür. Sie hatte das Haar ordentlich, aber sehr schlicht nach hinten gesteckt und trug ein braunes Kleid aus handgewebtem Stoff und eine Baumwollschürze. Sie war ein wenig blass, aber wach. Und ruhig. Gabriel schätzte ihre Ruhe am allermeisten.
Als sie Sylvie ansah, las er in ihrem Gesicht echte Sorge um das Kind. Er rutschte zur Seite, damit sie neben dem Bett knien konnte. Sie fühlte nach Sylvies Stirn, um die Temperatur abzuschätzen. Irene sah ihre Herrin an, mit einem Blick, der um Bestätigung flehte. Sie hatte die ganze Nacht auf dem Boden am Kopfendes des Bettes gesessen und das Kind die ganze Nacht berührt, ihm die Wange gestreichelt, übers Haar gestrichen.
Gabriel war erstaunt zu sehen, wie Marianne die Hände nach Irene ausstreckte. Die beiden Frauen klammerten sich für einen Augenblick geradezu aneinander.
Die meisten Plantagenbesitzerinnen am Mississippi waren mit der medizinischen Behandlung ihrer Sklaven beschäftigt. Einige taten es gern, andere eher widerwillig. Einige waren sehr kompetent, andere hatten keine Ahnung, was sie da taten. Aber in all den Jahren seiner Grundausbildung bei Dr. Benet, bevor er nach Frankreich gegangen war, hatte Gabriel nie eine Frau getroffen, die so in ihrer Tätigkeit aufging wie Marianne Johnston.
»Pearl, du kannst jetzt schlafen gehen«, sagte sie. »Leg dich ein Weilchen hin, bevor du in die Küche gehst.«
Und zu Gabriel sagte sie: »Was haben sie jetzt vor?«
»Ich habe ihr ein Mittel gegeben. Sobald es richtig wirkt, werde ich so viel Eiter wie möglich aus dem Bauchraum entfernen.« Er legte die Hand wieder auf Sylvies geschwollenen kleinen Bauch. Er war sehr heiß.
»Wenn ich richtig verstanden habe«, bemerkte er zu Marianne, »haben Sie noch einen zweiten Patienten. Während wir warten, bis das Laudanum wirkt, könnte ich ihn mir ansehen. Dieselben Hunde?«
Marianne nickte. »Jedenfalls dieselbe Meute.« Sie wandte sich an den älteren Mann, der in der Ecke stand, Sylvies Großvater, wie Gabriel vermutete. »Was ist mit den Hunden geschehen, die Sylvie angegriffen haben?«, fragte Marianne.
»Soweit ich weiß, sind sie am Prügelpfahl angekettet, Miss. Aber vielleicht hat Mr McNaught inzwischen schon etwas unternommen.«
Gabriel sah, wie ihre Kiefermuskeln arbeiteten. Der Zorn auf ihrem Gesicht war nicht zu übersehen. Dieser McNaught, dachte er, geht schwierigen Zeiten entgegen. Ich würde es vorziehen, diese Frau nicht zum Feind zu haben.
Er folgte Marianne nach draußen. Sie gingen an dem Pfahl für die Prügelstrafen vorbei, wo zwei Jagdhunde in der Morgensonne schliefen. Sie waren mit einer Kette um den Hals befestigt
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