Melodie des Südens
wirklich scheußlich«, sagte sie. »Setzen Sie sich doch.«
Nicht gerade eine herzliche Einladung, aber Yves war es zufrieden. Er hatte gehofft, er würde dieser neu entdeckten faszinierenden Frau wieder begegnen. Marianne Johnston bezauberte ihn jetzt viel mehr als auf jedem Ball. Sie war eine Frau mit Geist, Muskeln, Sehnen und – Feuer.
Ihr Reifrock erlaubte ihm, so nah neben ihr zu sitzen, dass er ihr teures Parfum wahrnehmen konnte. Die blaue Seide raschelte an seinem Bein. Er hätte lieber ihr Bein gespürt, aber unter den obwaltenden Umständen war dies schon Reiz genug.
Marianne setzte Freddie ab, der sofort vor Yves Füßen Männchen machte, hechelte und ihn bewundernd anstarrte. Wenigstens eine Eroberung.
Er klopfte auf seine Jackentasche.
»Ja, Sie dürfen rauchen.«
»Muss ich zu Ihren zahlreichen Fähigkeiten nun auch noch die der Hellseherei zählen?«
»Ich wünschte, es wäre so.«
Yves betrachtete ihr Profil, während er seine Zigarre anzündete. »Dann hätten Sie den Vorfall mit dem Kind verhindert.«
»Ja.«
Yves war kein Freund von Small Talk, und Marianne war offensichtlich nicht in Plauderstimmung. Er leistete ihr einfach Gesellschaft. Wenn sie reden wollte, würde sie es schon tun.
Seine Zigarre war halb aufgeraucht, als Marianne das Schweigen brach. »Sie kommen doch auf andere Plantagen. Wer außer uns hält Hunde, die Sklaven jagen und angreifen?«
Er klopfte die Asche ab. »Einige. Die meisten kennen Sie, denke ich.«
»Mein Vater hätte dem niemals zugestimmt, wenn er wüsste, was passieren kann. Aber die meisten Hunde hat dieser McNaught mitgebracht, und Vater hat wohl gedacht, er bekommt eine Meute gut trainierter Jagdhunde, wenn er diesen Aufseher einstellt. Er konnte ja nicht wissen, dass sie für die Sklavenjagd abgerichtet sind. Das hat er nicht gewusst.«
Yves hoffte, dass sie sich davon überzeugt hatte. Es war eine schlimme Erfahrung, herauszufinden, dass der eigene Vater nicht edler gesinnt war als andere Männer.
Die frühe Hitze überzog Mariannes Haut mit einem leichten feuchten Schimmer. Auf der Oberlippe bildeten sich winzige Tröpfchen, die die Kurve betonten. Er liebte volle, salzige Lippen, und Miss Johnstons Mund wirkte geradezu üppig.
Ihre Haut war ein wenig gebräunt, recht sorglos für eine junge Dame im heiratsfähigen Alter, dachte Yves, aber er war nicht so wie die Dandys, die man während der Ballsaison in der Stadt traf. Sie erwarteten makellos weiße Haut, ein unvergängliches scheues Lächeln auf rot gefärbten Lippen und unterwürfiges, aufmerksames Verhalten. Wie langweilig diese Ballschönheiten waren! Er hatte Marianne Johnston beobachtet, wie sie diese Rolle spielte, wenn auch ohne große Begeisterung. Offenbar entsprach sie nicht ihrem wahren Charakter.
Welche Versuchung, ihr sanft über die Lippe zu wischen, mit dem Daumen die Linie nachzufahren. Aber das würde sie ihm niemals verzeihen. Sie brauchte keine Zärtlichkeiten, jedenfalls nicht heute.
»Verfolgen Sie die Nachrichten, Miss Johnston?«
Sie nickte, wandte aber den Blick nicht von Freddie ab, der um ihre Füße schwänzelte.
»In den nächsten paar Jahren wird sich vieles verändern.« Er deutete mit seiner Zigarre auf die Plantage. »Wie würde Ihnen das gefallen?«
»Das Ende der Sklaverei?« Sie überraschte ihn mit der Direktheit ihrer Frage und gleich noch einmal mit ihrer Antwort. »Die Sklaverei ist furchtbar; das kann doch so nicht weitergehen.«
»Da würden Ihnen nur wenige Sklavenhalter zustimmen.« Jetzt bewegten sie sich auf gefährlichem Terrain. Sie kannte seine Meinung nicht, und mancher andere Mann würde ihre radikale Äußerung weitertragen und damit den Namen der Johnstons überall am Fluss in Misskredit bringen. Sie musste wirklich ihre Zunge hüten.
Er nahm ihre Hand, um sie zur Vorsicht zu mahnen. Handschuhe, wie sie eigentlich üblich waren, hätten sie beide vor dem Hautkontakt geschützt, aber ohne diesen Schutz zuckte Marianne angesichts seiner Vertraulichkeit zusammen. Oder sah er da noch etwas anderes in ihrem Blick? Sie schaute ihn so seltsam an. Konnte es sein, dass sie die bloße Berührung schon erregte? Eine so sinnliche Frau würde seine kühnsten Träume übertreffen.
Marianne war in ihre Gedanken, an Sylvie, Peter und ihren eigenen Vater versunken gewesen. Die Trauer und der Zorn dieses Tages hatten sie verletzt und verletzlich gemacht. Ihre Widerstandskraft war geschwächt, als lägen alle ihre Nerven bloß. Sie war nicht darauf
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