Melodie des Südens
getan.
Er ging die Straße am Fluss entlang zu seinem eigenen Haus, Château Chanson. Nicht mehr lange, dann würde er sich entscheiden müssen, was seine Praxis anging. Wenn er in der Nähe von Toulouse blieb, war der Ärger vorhersehbar. Simone in seiner Nähe – das konnte nicht gut gehen.
Den restlichen Tag verbrachte er damit, Ärzte in Louisiana, Mississippi und sogar in Alabama anzuschreiben. Einer von ihnen würde ihn sicher gern als Partner in seine Praxis aufnehmen, als Juniorpartner natürlich. Selbst ein Kompagnon, der zu einem Achtel schwarz war, konnte ein paar Dollar in die Praxis bringen.
Claire schlachtete zum Abendessen ein Huhn und fütterte ihn mit Hühnchen und Klößen, die ihm wie Blei im Magen lagen. Er kaute heimlich etwas Kümmel und setzte sich dann auf die hintere Veranda, um dem Sonnenuntergang zuzusehen. Ben und Claire zogen sich in ihr Zimmer in der Mansarde des Nordflügels zurück und überließen ihn seinen Gedanken. Einer nach dem anderen, wurden die Sterne am mondhellen Himmel sichtbar. Er rief sich die wenigen Sterne in Erinnerung, deren Namen er kannte, aber Simones Duft, ihre Stimme, ihre braunen Augen wollten ihn nicht loslassen.
Als er fortgegangen war, war sie gerade siebzehn gewesen. Ihr Gesicht war noch kindlich rund gewesen, ihre Haut so zart und weich wie die eines kleinen Mädchens. Sie hatten sich ein Leben lang gekannt, und als sie noch Kinder gewesen waren, hatte er Simone immer im Schlepptau gehabt. Sie bewunderte ihn. Als er die Jugendjahre fast schon hinter sich hatte, hatten die ihren begonnen, und ein Weilchen war sie schüchtern gewesen. Damals hatte er begriffen, dass sich ihre Freundschaft verändern musste, dass sie einander loslassen mussten. Er war traurig darüber gewesen, aber schließlich war da neben der eigentlich belanglosen Verwandtschaft auch noch die Frage der Hautfarbe gewesen. In diesen bewegten Zeiten war die geringe bisherige Toleranz gegenüber gemischten Beziehungen – die selbstverständlich nur galt, wenn der weiße Partner der männliche war – verschwunden. Sklaverei und ihre Abschaffung, staatliche Rechte und Rassismus – all das zusammengenommen hatte es für Gabriel unmöglich gemacht, Simone seine Gefühle zu gestehen. Eine Heirat mit ihm hätte ihre gesellschaftliche Ächtung bedeutet, wenn nicht Schlimmeres.
In dieser Saison hatte sie ihr Debüt gehabt, war auf den Heiratsmarkt getreten, wenn man es so unverblümt sagen wollte. Es gab Ballkleider, die so geschnitten waren, dass ihre Reize gut zur Geltung kamen, es gab Düfte und Schminke und Frisuren … alles nur, um junge Männer an ihre Seite zu locken. Gabriel hatte am Abend vor dem ersten Ball der Saison Tante Josies Haus in New Orleans besucht, und ihm war der Atem gestockt, als Simone den Salon betreten hatte, vorbereitet für ihren großen Auftritt. Sie trug ein Kleid aus lavendelfarbener Seide, das über den Reifröcken raschelte und schwebte. Sie trug kleine rosa Rosen in ihrem dunklen Haar und am Ausschnitt, und ihre braunen Augen funkelten in dem neu entdeckten Bewusstsein, eine Frau zu sein. Sie hatte sich vor ihm im Kreis gedreht und war errötet, als er sie bewunderte. Hatte sie damals gewusst, wie sehr er sie begehrte?
Die Saison nahm ihren Lauf, und Gabriel quälte sich selbst mit Eifersucht. Er ging nicht zu denselben Bällen wie Simone. Vom Aussehen her war er nicht dunkler als die meisten anderen Herren ihrer gesellschaftlichen Kreise, aber er hatte schon früh beschlossen, dass er nicht versuchen würde, als Weißer durchzugehen. Er gehörte eher zu den Menschen im Umkreis seiner Mutter als im Umkreis seines Vaters, und seine hellere Haut war kein Grund für irgendeine Art von Stolz.
Da er ihren Wirbel von Bällen und Abendessen nicht zu sehen bekam, quälte er sich mit der Vorstellung von Simone in den Armen anderer Männer. Er stellte sich vor, wie sie ihrem flirtenden Ton zuhörte, wie sie plauderte und ihren Fächer bewegte. Er wusste, dass sie das konnte, denn sie hatte ihm an einem regnerischen Nachmittag voller Sarkasmus die verschiedenen Zeichen vorgeführt, die man mit einem Fächer gab. Und während die Saison ihren Lauf nahm, nahm auch Simones Selbstbewusstsein zu. Sie war nicht mehr schüchtern, und sie begriff sehr bald, wie viel Macht sie auf Männer ausüben konnte.
Aber als sie sich für Gabriel entschieden hatte, hatte sie begreifen müssen, dass ihre Macht nicht ausreichte, um ihn näher zu ihr zu ziehen. Er wollte nicht ihr Sklave
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