Melodie des Südens
sein. Deshalb sagte er nein. Er sagte es liebevoll und voller Schmerz, aber es war ein Nein.
Er konnte sie nicht heiraten. Und er konnte ihr nicht widerstehen. Also war er gegangen.
Und nun war sie fast einundzwanzig, und die Kraft ihres Auftretens und ihrer Ausstrahlung hatte sich noch verstärkt. Sie war eine reife, selbstbewusste Frau, und sie wusste, was sie wollte. Sie hatte keinen der Verehrer akzeptiert, die um sie geworben hatten. Sie wollte ihn.
Gabriel schüttelte den Kopf. Er würde zusehen müssen, dass er eine Praxis möglichst weit weg von hier fand. Vielleicht in Vicksburg.
In diesem Augenblick erschien der Gegenstand seiner Träume auf seiner Treppe. Er hatte sie nicht einmal gehört. Er setzte die Füße auf den Boden und stand auf, ungeschickt wie ein Schuljunge. Er suchte nach ihrer Begleitung, sah aber niemanden.
»Wie bist du hierhergekommen?«, fragte er etwas dümmlich.
»Zu Fuß. Hast du die Absicht, mir einen Sitzplatz anzubieten?«
Er zog einen Stuhl zu sich heran und bot ihn ihr an, als wären sie beide auf einem großen Ball. Sie setzte sich und wartete darauf, dass er neben ihr Platz nahm, um den Mond zu bewundern, als wäre dies irgendeine beliebige Nacht, die sie mit irgendeinem beliebigen jungen Mann aus ihrem Bekanntenkreis verbrachte.
»Tante Josie weiß vermutlich nicht, dass du hier bist.«
»Ich habe ihr gesagt, ich hätte Kopfschmerzen und müsste ins Bett.«
»Simone, ich …«
»Still, Gabriel. Ich bin hier. Und ich bin kein Kind mehr.«
Er würde das begreifen müssen. Simone liebte die Art, wie er sie beschützte, aber jetzt brauchte sie keinen Schutz. Sie wollte, dass er sie wahrnahm, dass er sie wirklich wahrnahm, als Frau, die ihn mit Leib und Seele begehrte.
Auf der anderen Seite der Glastür brannte eine Kerze und warf einen schwachen warmen Lichtschein auf Gabriels Gesicht. Sein wunderbares Gesicht, die fast schon weibliche Schönheit seiner gebogenen Wimpern und der Kontrast des starken Kinns und des festen Kiefers. Seine muskulösen Schultern. Seine wunderbaren Hände mit den langen Fingern, zarte Hände, die Hände eines Heilers. Simone hätte ihn verschlingen könnten, hätte ihn mit gierigen Schlucken trinken können.
Ihr Zorn war verraucht. Gabriel war nach Hause gekommen, und er gehörte immer noch ihr. Sie brauchte nur genug Mut, dann konnten sie zusammenleben.
»Simone.« Gabriel bemerkte, dass sie sein Gesicht sehen konnte, er das ihre aber nicht. Sie hatte immer schon einen Vorteil daraus gezogen, dass sie wusste, was er dachte, während er immer ein wenig verwirrt war. Bezaubert, aber verwirrt. »Simone, was tust du hier?«
»Du weißt, was ich hier tue.«
»Es hat sich nichts verändert, Simone.«
Sie erhob sich. Er stand auf, um sie die Treppe hinunterzubegleiten, denn er dachte, sie würde gehen, wieder verärgert durch das, was er gesagt hatte.
Aber sie tat einen Schritt auf ihn zu. Jetzt stand sie sehr nahe vor ihm. Er konnte das Rosenwasser auf ihrer Haut riechen. Seine Hände zitterten vor Begehren, sich nach ihr auszustrecken, nach ihr zu greifen und sie an sich zu ziehen.
Sie kam noch näher, bis ihr weiter Rock gegen seine Knie stieß, und für einen Augenblick konzentrierte sich all seine Aufmerksamkeit auf diese leichte Berührung.
»Doch, ich habe mich verändert«, sagte sie. »Ich werde dein Nein nicht mehr akzeptieren. Nie mehr.«
Sie trat noch einen Schritt näher, und seine Arme öffneten sich wie von selbst. Alles was er spürte war Begehren, das allzu lange aufgestaute Begehren. Simone.
Als er sie in seinen Armen spürte, unter seinen Händen, waren alle anderen Sinne wie ausgeschaltet. Er küsste ihre Augen, fuhr mit den Fingern durch ihr Haar, zog Haarnadeln und Kämme heraus. Er wiegte ihren Kopf in einer Hand, fand ihren Mund, offen und warm und einladend.
Sie kam seinem Kuss entgegen, bereit für ihn und voller Eifer. Ihre Hände wanderten über seinen Rücken, glitten unter seine Arme, um seine Rippen zu fühlen, liebkosten ihn, erforschten ihn. Ihre Finger zogen an seinen Knöpfen, öffneten sein Hemd. Ihre Hände lagen auf seiner Haut.
»Warte«, keuchte er. Er schluckte schwer und trat einen Schritt zurück. »Du weißt ja nicht, was du da tust.«
Simone lächelte ihn an. »Doch Gabriel, ich weiß genau, was ich tue. Wir haben die Prüfung bestanden, und wir werden nicht eine Minute unsere gemeinsamen Lebens verschenken. Keine einzige Minute.« Sie überbrückte den Abstand zwischen ihnen und legte ihm
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