Melodie des Südens
zog sich in die Stille seines Schlafzimmers zurück, bestimmt, um ein Gedicht zu schreiben. Yves las die Times Picayune und die Bee, beides Zeitungen aus New Orleans, und den neuesten Natchez Courier. In der Bibliothek fand er auch noch eine alte Zeitschrift aus Richmond. Mit den widerstreitenden Berichten über den Republikanischen Kandidaten Mr Lincoln hatte er für eine Weile genug zu tun.
In sechs Monaten wurde gewählt, und das Land befand sich in einem wahren Aufruhr. Das Thema Sklaverei und das Recht der einzelnen Staaten, in dieser Frage ihren eigenen Weg zu gehen, hatte sogar die Demokratische Partei gespalten. Mr Lincoln verhielt sich zu dem Thema allerdings seltsam still.
Yves wünschte sich nichts mehr als eine New York Tribune. Seine eigenen, heimlich verfassten Essays erschienen dort und in einigen anderen Zeitungen im Norden. Die Publikationen der Südstaaten, die er zu lesen bekam, machten sich wenig Mühe, ein ausgewogenes Bild von den Ereignissen im Norden zu zeichnen, nicht einmal von den Ereignissen in Washington. Wie ernst nahm der Norden die ständigen Gerüchte und Drohungen, die Südstaaten würden sich abspalten? Und wie stark fühlten sich die Meinungsmacher in den Südstaaten der staatlichen Souveränität verpflichtet?
In der großen Diele waren Schritte und leise Stimmen zu hören. Yves hatte keinerlei Hemmungen, zu lauschen. Warum auch? Neugier war nichts anderes als ein gesundes Interesse an den Mitmenschen, solang man sich nicht an übler Nachrede beteiligte. Und das tat Yves nicht, Tratsch war ihm zuwider.
»Wo soll ich den Doktor unterbringen?«, fragte Charles.
Einen Augenblick herrschte Stille, dann hörte man Adam sprechen. »Hm. Er ist fast weiß, nur zu einem Achtel schwarz.« Wieder Schweigen, während Adam offensichtlich mit den Feinheiten der Rassenpolitik seiner Kultur zu kämpfen hatte. »Was meint Miss Marianne?«
»Ich habe ihr vorgeschlagen, ihn in dem Zimmer unter der Hintertreppe unterzubringen, das für Durchreisende bereitsteht.«
»Und was hat sie dazu gesagt?«
»Sie hat gesagt, ich soll ihn im Schlafzimmer Ihres Vaters unterbringen.« Charles machte nicht einmal den Versuch, seine Missbilligung dieser Anordnung zu verbergen.
»Nun, das geht vielleicht ein bisschen weit. Und wir haben kein freies Gästezimmer mehr, nicht wahr? Nein. Ich werde mit Yves sprechen, er kann doch sicher das Zimmer mit seinem Bruder teilen.«
»Sehr wohl, Sir«, sagte Charles.
Adam betrat die Bibliothek. »Ach, da bist du ja«, sagte er, als er Yves bemerkte, der sein Gesicht hinter einer Zeitung verbarg und offensichtlich ganz vertieft in einen Artikel war.
»Dein Bruder bleibt über Nacht«, sagte Adam. »Vielleicht könnte er mit dir in einem Zimmer schlafen?«
»Aber sicher«, antwortete Yves. »Wir haben sogar schon in einem Bett geschlafen.« Er stand auf. »Ich werde mir noch ein wenig die Beine vertreten.«
Adam warf einen Blick auf die vergoldete Kaminuhr. »Dann mache ich noch schnell meine Briefe fertig, wir sehen uns beim Abendessen.«
Yves ging über die breite Veranda in den Garten. Marcel mochte der Dichter in der Familie sein, aber Yves wusste die Schönheit einer Rose ebenso zu schätzen wie jeder andere. Außerdem wollte er noch ein paar Sätze mit dem Gärtner sprechen, Joseph hieß er wohl, sein Untergrundkontakt hier auf Magnolias. Yves spazierte weiter, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, die Gedanken bei den politischen Ereignissen, die das Land erschütterten. Er fürchtete, dass es Krieg geben würde.
Als er zu einer Nische kam, wäre er wohl achtlos vorbeigegangen, hätte er nicht einen zart beschuhten Fuß bemerkt, der aus einem Zelt aus Röcken hervorspitzte. Als er stehen blieb, begrüßte ihn Freddie mit einem scharfen Begrüßungsbellen.
»Oh, Miss Johnston!«, sagte er. »Es hat ja fast den Anschein, als versteckten Sie sich vor mir.«
Freddie wand sich in ihren Armen, begeistert, ihn zu sehen. Marianne jedoch begrüßte ihn kaum. Sie hatte sich wohl wirklich vor ihm versteckt.
»Soll ich lieber weitergehen?«, fragte er.
Sie kam aus dem Kamelienbusch und setzte sich schwer auf die Bank. Sie war bereits für den Abend gekleidet, trug ein blaues Seidenkleid, das ihren Busen sehr vorteilhaft zur Geltung brachte, wie Yves bemerkte, und gleichzeitig den großen Bluterguss verdeckte, den sie nach dem Rückstoß des Gewehrs an der Schulter haben musste. Sie schob ihre Röcke zur Seite. »Bitte entschuldigen Sie mich, ich benehme mich
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