Melodie des Südens
etwas anderes, Heißeres, Gefährlicheres. Sie berührte ihre Unterlippe. Ja, sie wollte mehr.
Ein neuer stickiger, schwüler Tag ging vorüber. Nachdem sie ihre Pflichten erledigt hatte und die Hitze etwas nachließ, verbrachte sie eine Stunde mit Peter. Inzwischen kannte er das Alphabet und einige der Laute, die dazugehörten. Der nächste Schritt würde sein, ihm ein paar einfache Wörter beizubringen: Hund, Kind, Band … Gut wären Wörter, die sich reimten, damit er sah, wie die Laute sich zusammenfügten. Er war intelligent genug, er würde es lernen.
Sie arbeiteten bis zur Abenddämmerung, dann verabschiedete sich Marianne für die Nacht. Sie hoffte, ein paar Minuten mit Joseph sprechen zu können, bevor sie in das leere Haus zurückkehrte, und bummelte deshalb die Gasse hinunter zu seiner Hütte mit den leuchtend blauen Blumen vor der Tür. Bevor sie auch nur die Treppe betreten hatte, öffnete er die Tür und bat sie herein.
»Ich habe schon nach Ihnen Ausschau gehalten, Missy, kommen Sie rein.«
Eine einzelne Kerze brannte, und zuerst konnte Marianne die Leute, die um den groben Holztisch versammelt waren, kaum erkennen. »Hier ist ein Stuhl für Sie, Miss Marianne«, sagte Pearl.
Sie erkannte Evette, die Köchin, und ihren Mann – Daniel hieß er wohl. Josephs Tochter saß mit ihrem schlafenden Enkelkind im Arm da. Die anderen drei kannte sie überhaupt nicht.
Fragend blickte sie Joseph an, der sich auf die Bank ihr gegenüber setzte.
»Missy, diese Leute brauchen Ihre Hilfe. Wir würden Sie nicht darum bitten, wenn wir eine andere Möglichkeit wüssten.«
»Wer sind diese Leute?«
»Bess und Elvin und ihr Sohn Clem.«
Marianne starrte die Fremden an. Der Mann erwiderte ihren Blick nicht, aber sie wusste, er hatte sie beobachtet. Die Frau saß auf einer Pritsche, ihren Fuß, der mit ein paar Lappen verbunden war, hatte sie auf Evettes Schoß gelegt. Der Junge trug nur eine fleckige, fadenscheinige Hose.
»Und sie sind auf der Suche nach einem Nachtlager?«
»Sie werden verfolgt. Ich würde nach dem Hirten schicken, aber er ist nicht da.«
Was verlangten sie da von ihr? Sie hatte keine Ahnung, wo sich das nächste sichere Haus befand oder wie sie dorthin gelangen sollte. Und sie war die Tochter des Plantagenbesitzers. Was wollten sie von ihr?
»Ich weiß, es ist nicht fair, Ihnen das zu zeigen, Missy, ich weiß. Aber Sie müssen verstehen, warum wir Sie bitten. Pearl, zeig ihr den Jungen.«
Pearl führte das Kind zu Marianne und drehte es um. Die Haut auf seinem Rücken war vollkommen zerfetzt.
Marianne schlug die Hand vor den Mund.
»Ich habe das gemacht, was Sie auch mit Petie gemacht haben, Miss Marianne«, sagte Pearl. Ich habe die Wunden gut mit Hamamelis ausgewaschen, den ich bei Ihnen im Keller gefunden habe, und dann habe ich ihn mit Salbe versorgt.«
»Was um Gottes willen …«, stammelte Marianne. »Er ist doch noch ein Kind!«
»Ja, Madam«, sagte Joseph. »Das haben sie mit einer Peitsche mit Spitzen gemacht. Deshalb sind sie ja auch weggelaufen, bevor dem Mann dort noch Schlimmeres einfällt.«
»Und Miss Marianne«, sagte Pearl, »Bess hat sich den Knöchel schlimm verletzt, er ist angeschwollen wie ein Kürbis.«
Evette wickelte den Verband vom Fuß der Frau, um ihn ihr zu zeigen. Pearl hielt die Kerze näher hin. Der Knöchel war entsetzlich angeschwollen. Wenn er gebrochen war, hatte der Knochen wenigstens nicht die Haut durchbohrt, das hätte schwere Komplikationen gegeben. Vielleicht war es auch nur eine Verstauchung. Marianne betastete den schmutzigen nackten Fuß und versuchte sehr vorsichtig, den Knöchel zu bewegen. Bess atmete heftig ein vor Schmerz, aber Marianne betastete den Fuß weiter und versuchte sich vorzustellen, was unter der Schwellung verborgen war.
»Ich weiß es nicht. Ich glaube, es ist nur eine Verstauchung, aber ich weiß es wirklich nicht. Wenn wir doch nur etwas Senf hier hätten, den mit den schwarzen Senfkörnern.« Sie merkte, wie sie mit sich selbst sprach. »Pearl, im Moment können wir eigentlich nur Schwarzwurz drauftun, du weißt, welches Kraut das ist?«
»Aber Miss Marianne, wenn ich jetzt in den Keller gehe, sieht mich Mr McNaught mit der Laterne.«
Marianne nickte. »Ich hole es lieber selbst.« Sie stand auf und wollte gehen.
»Missy«, hielt Joseph sie auf. »Wir haben noch nicht alles gesagt.«
»Ich dachte …«
»Nein, Madam«, sagte Joseph. »Wir brauchen Ihre Hilfe bei Mr McNaught. Wir wollen Sie bitten, für uns zu
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