Melodie des Südens
müsste genügen, um unangenehmen Fragen vorzubeugen.
Wenn McNaught nachforschte, wo der Wagen und zwei seiner Sklaven waren, hätte Charles eine gute Erklärung. Im Übrigen ging all das den Aufseher ohnehin nichts an, was Charles ihm in seiner gut eingeübten blasierten Art deutlich machen würde. Nur er konnte das so sagen, ohne tadelnd zu klingen. So musste der Plan funktionieren. Tatsächlich würde sie Martha mit einem unerwarteten (und wohl auch unerwünschten) Spinnrad überraschen, wenn sie den Flüchtlingen weitergeholfen hatten.
Kurz vor Tagesanbruch verließ Marianne ihr Schlafzimmer. Sie trug ihr zweitbestes Reisekostüm, das blaue mit der schwarzen Schärpe, den Rock mit mehreren Krinolinen gestützt statt mit einem Reifrock. Wenn man den ganzen Tag auf einem Wagen saß, war der Reifrock entsetzlich unbequem. Natürlich trug sie eine farblich passende Haube, die den ordentlichen Haarknoten bedeckte, den sie gebunden hatte. Wäre sie nicht so in Eile gewesen, hätte sie die Perlenohrringe doch noch im Schmuckkästchen gelassen. Eine solche Reise war ein staubiges, schmutziges Unterfangen, und Perlen waren eher fürs Haus gedacht. Als sie jedoch bemerkte, dass sie sie noch trug, war sie schon halb die Treppe hinunter und beschloss, weiterzueilen.
Im Haus war es noch still. Sie machte kurz beim Arbeitszimmer ihres Vaters halt, schloss den Waffenschrank auf und nahm die Schrotflinte heraus, mit der sie auf die Hunde geschossen hatte. Seitdem war sie einige Male nachts aufgewacht, weil sie im Traum den Krach des Gewehrs gehört und den Rückstoß gespürt hatte. Als die Hunde tot im Staub gelegen hatten, hatte sie sie nicht mehr angesehen, aber das Bild der blutigen Kadaver suchte sie trotzdem in ihren Träumen heim.
Die schwere Waffe in der Hand, verließ Marianne das Haus. Das taubedeckte Gras benetzte den Saum ihres Kleides und ließ ihn dunkler erscheinen, und sie konnte den Weg im grauen Morgendämmer kaum sehen. Gerade als McNaught die Glocke läutete, mit der die Sklaven gerufen wurden, sich im Hof zu versammeln, traf sie die anderen in der Scheune. Vom Glockenstuhl aus konnte er nicht sehen, wie sie wegfuhren.
Sie fuhren die Straße am Fluss entlang in nördlicher Richtung bis zur Sägemühle und wandten sich dann vom Fluss ab. Marianne saß auf dem Kutschbock neben Joseph, die Schrotflinte zu ihren Füßen. Die verzweifelte Flüchtlingsfamilie lag unter einer Decke zwischen den Körben und dem Spinnrad. Pearl saß hinten auf dem Wagen; in ihrem Korb hatte sie eine Wasserflasche und eine Flasche mit Mariannes schmerzlindernder Mischung für die Mutter und den Jungen.
»Warst du schon mal hier?«, fragte Marianne.
»Nein, Madam. Der Hirte kennt den Weg und sagt mir, wohin ich muss.«
»Wer ist dieser Hirte, Joseph?«
Er sah sie lächelnd an. »Das werde ich Ihnen nicht sagen, Missy.«
»Kenne ich ihn?«
Joseph schnalzte den beiden Maultieren zu. »Los, ihr zwei.«
Marianne sah Pearl an. Sie wusste es sicher auch, aber auch sie lächelte ihre Herrin nur an. Sie würden es ihr nicht verraten. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie das komisch oder ärgerlich finden sollte, schließlich steckte sie bis zum Hals mit in der Sache. Aber nachdem die beiden ihr Spielchen zu genießen schienen, blieb sie gelassen.
Gegen Vormittag näherte sich ein Farmer mit einem Wagen voller Melonen. Marianne spürte die Anspannung. Sie überprüfte, ob Pearl die Leute auf dem Wagen gut bedeckt hatte, und setzte dann ihr freundlichstes Lächeln auf. »Einen schönen guten Morgen«, sagte sie zu dem Farmer, der mit dem Finger an die Hutkrempe tippte, der Lady ebenfalls einen guten Morgen wünschte und seines Weges fuhr.
Wenig später überholte sie ein Reiter ohne auch nur ein freundliches Wort, ziemlich grob und ohne die lumpige Fracht auf dem Wagen beachtet zu haben. Sie begegneten noch einigen weiteren Reisenden, und jedes Mal atmete Marianne mehr auf: Offenbar waren sie und ihre Fracht vollkommen uninteressant.
Am späten Nachmittag, als sie alle von der Sonne ausgedörrt und wund vom Sitzen auf den harten Brettern auf dem ungefederten Wagen waren, machten sie im Schatten einer Eiche Rast. Marianne ließ Pearl auf der Straße Wache halten, sodass die drei Flüchtlinge aufstehen und ihre Glieder bewegen konnten.
Sie nahm Joseph beiseite. »Wie weit ist es denn noch? Wir haben nicht mehr lange Tageslicht.«
»Ich weiß nicht genau, wie weit es noch ist. Ich weiß nur, ich soll nach einem Haus Ausschau
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