Melodie des Südens
steckte sie in seine Westentasche, die er sorgfältig zuknöpfte.
»Danke«, sagte Marianne. »Danke, dass du den Umweg gemacht hast. Ich weiß, dass wir uns beeilen müssen.«
»Ja, das müssen wir, und sobald wir Luke in Sicherheit wissen, müssen wir tatsächlich weiterreiten.«
»So schnell du willst.«
Yves zögerte. »Hast du bedacht … du solltest dich darauf vorbereiten …« Er schluckte schwer. »Es kann sein, dass Gabriel tot ist.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, er lebt, das spüre ich.«
Yves blickte ins Kaminfeuer. »Aber wenn er lebt, ist er vielleicht nicht mehr der Alte. Er ist wahrscheinlich geschwächt, krank und …«
»Ich weiß, dass er krank war oder ist. Darum bin ich ja mitgekommen, um ihn zu pflegen.«
»Du kennst ihn nicht so gut wie ich, Marianne. Gabriel hat seinen Stolz. Seit seiner Geburt muss er mit diesem Schatten seiner Hautfarbe leben, und er hat gegen diesen Schatten angekämpft und sich darüber erhoben. Und dann passiert ihm so etwas. Ich weiß nicht, wie er damit umgeht.«
Marianne nickte. »Wütend. Er wird entsetzlich wütend sein.«
Yves schwieg. »Ich bin ein Weißer. Ich liebe meinen Bruder, aber möglicherweise hat er vergessen, dass er mich liebt.«
In dieser Nacht hatte Pearl nicht lange geschlafen. Sie hatte die dunklen Stunden damit verbracht, darüber nachzudenken, ob Luke wohl auch wach lag. Vielleicht war er sehr niedergeschlagen. Er war eingefangen worden. Und er wusste ja nicht, dass diese guten Menschen ihn zu ihr zurückbringen würden.
Als sie aus der Küche erstes Rumoren hörte, zündete sie die Kerze an und weckte Marianne. Sie wollte im ersten Morgengrauen auf dem Sklavenmarkt sein.
»Hast du überhaupt etwas geschlafen?«, fragte Marianne gähnend.
»Nein Missy, ich brauche keinen Schlaf, ich brauche nur Luke.«
Sie ließ Miss Marianne auf der Bettkante sitzend zurück und ging den Korridor hinunter, um am Mr Chamards Tür zu kratzen. Sie trat ein, ohne auf eine Antwort zu warten. Bei Mr Chamard im Bett lag noch ein anderer Mann, ein riesiger Kerl, der fürchterlich schnarchte. Im Kerzenlicht wölbte sich der runde Bauch des Mannes wie der einer großen Sau. Pearl ging um das Bett herum, wo sich Mr Chamard am Rand der Matratze festgeklammert hatte. Er schlief so fest, dass sie ihm zweimal auf die Schulter klopfen musste, um ihn zu wecken.
Erschrocken fuhr er hoch. »Ah!« Er legte eine Hand an seine Stirn. »Ich habe kein Auge zugetan, der Kerl schnarcht ja fürchterlich!«
Pearl hätte am liebsten laut losgelacht. Heute früh war ihr nach Lachen zumute. Heute früh würde dieser wunderbare Mann ihr ihren Luke zurückgeben. Sie hob seine Hosen auf, seine Hosenträger, sein Hemd, seine Strümpfe und Schuhe. Dann hielt sie ihm die Hose hin, damit er hineinsteigen konnte, und begann damit, die Hosenbeine hochzuziehen.
»Ich kann mich schon allein anziehen«, flüsterte er ein wenig gereizt.
»Ja, Sir, das weiß ich. Aber es wird bald hell, und ich will, dass es schnell geht mit dem Anziehen.« Sie hielt ihm das Hemd hin, sodass er nur die Arme hineinstecken musste, und half ihm, die Hemdschöße in den Hosenbund zu stecken. Als sie anfing, ihm die Knöpfe zu schließen, gab er ihr einen Klaps auf die Hand.
»Jetzt reicht es aber«, sagte er. »Geh, deine Herrin braucht dich.«
Sie lächelte ihn an. Wenn sie gedurft hätte, hätte sie ihn geküsst.
»Warte, mach erst die Kerze an.«
Sie gehorchte, und dann eilte sie zurück in das andere Zimmer, um sicherzugehen, dass Miss Marianne nicht wieder eingeschlafen war.
Marianne saß noch auf der Bettkante, aber sie hatte ihr Haar gelöst und hielt die Bürste in der Hand.
»Kommen Sie, ich mache das, Missy.«
Marianne wandte Pearl den Rücken zu, sodass diese hinter ihr auf dem Bett sitzen konnte. »Joseph und Hannah, und jetzt du. Ich finde es schön, wenn ihr mich Missy nennt.«
»Ja, Madam, wir lieben Sie schließlich.« Pearl war fertig mit dem schonungslos kräftigen Bürsten. »Aber jetzt müssen Sie sich schnell anziehen.«
»Ja, Madam«, gab Marianne zurück.
Pearl drängte sie, bis sie endlich angezogen und aus dem Zimmer war. Unten in der Gaststube trafen Sie auf Mr Chamard.
»Wir sind fertig, wir können losgehen«, sagte Pearl.
»Moment mal«, antwortete er. »Der Markt öffnet doch erst in zwei Stunden.« Pearl hätte am liebsten heftig protestiert, aber er hob die Hand. »Und wir haben nur zwanzig Minuten Fußweg bis dorthin.« Er zog einen Stuhl für Miss Marianne
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