Melodie des Südens
lächelte, und der Tadel, den er eben noch auf den Lippen gehabt hatte, löste sich in Luft auf.
»Nicht sehr lange. Bist du so weit?«
»Wir sind so weit.«
»Dann los.« Beim Pferdehändler verstaute er ihre Einkäufe in Satteltaschen, half ihnen beim Aufsteigen und ritt ihnen voraus auf der Landstraße Richtung Norden. Nur zwei Tage, hatte Sonny Birch gesagt. Es fiel ihm schwer, nicht zu galoppieren, so dringend wünschte sich Yves, seinen Bruder zu finden. Aber weder die Pferde noch die Frauen konnten stundenlanges Galoppieren aushalten, und so versuchte er es mit einem langsamen, aber effektiven Kanter.
Früher war die Landstraße von Natchez eine stark frequentierte Route der Flussschiffer gewesen, wenn sie zurück nach Tennessee, Kentucky oder Ohio zogen. Seit es jedoch die Dampfer gab, mit denen man flussaufwärts fahren konnte, war die Landstraße kaum mehr befahren als alle anderen Straßen hier im Süden. Sie überholten einen Farmer, der mit einer Wagenladung vom Markt kam: Mehl, Salz, Rübensirup und was der Mann sonst nicht selbst auf seiner Farm produzieren konnte. Danach dauerte es eine Stunde, bis sie wieder einem Menschen begegneten.
Yves hielt seine Begleiterinnen in Bewegung und warf hin und wieder einen Blick zurück, um ihre Gesichter zu sehen und festzustellen, dass er ihnen mit diesem Tempo nicht zu viel abverlangte. Die Bäume bildeten eine Art Tunnel über der Straße und unter ihrem Blätterdach lag fleckiger Schatten. Marianne sah aus wie das blühende Leben, und auch Pearl wies keine Anzeichen von Unwohlsein auf. Bewundernswerte Frauen, dachte er.
So ritten sie weiter, die meiste Zeit hintereinander, abgesehen von dem neuen Pferd, das neben Yves lief. Irgendwann kam ihnen wieder eine Gruppe Sklavenhändler mit ihrer Ware entgegen. Die Weißen waren zu Pferde, die Sklaven gingen zu Fuß. Mit schmal gezogenem Mund nickte Yves dem Anführer zu. Er hatte die Reihe der dahinschlurfenden Männer schon passiert, als Pearls Schrei ihn aufschreckte. Er wendete sein Pferd auf der Hinterhand. Wenn diese Schufte ihren …
»Da ist Luke!«, rief Marianne.
Pearl war schon vom Pferd gesprungen und rannte auf die Reihe der Sklaven zu. Sie warf sich dem größten Mann in der Reihe in die Arme, zitternd und schluchzend, und drückte ihn an sich.
Ein Sklavenhändler kam auf sie zugetrabt und nahm die Peitsche von seinem Sattelknauf.
20
Marianne war so verwirrt, dass sie alles nur noch verzögert wahrnahm, alles auf einmal: Yves wendete sein Pferd und gab ihm die Sporen, sodass es auf die Sklavenreihe zutrabte. Pearl hing Luke um den Hals, und der Sklavenhändler beugte sich zu den beiden, die Peitsche erhoben, um zuzuschlagen.
Die Peitsche knallte über Lukes Kopf, und Pearl schrie. Der Sklavenhändler hob den Arm, um noch einmal zuzuschlagen.
In diesem Augenblick durchbrach der Knall von Mariannes Flinte die Szene. Alle blieben wie erstarrt stehen. Seltsam kaltblütig, den Lauf der Flinte immer noch nach oben gerichtet, sagte sie: »Der andere Lauf ist geladen, Sir. Ich untersage Ihnen, meine Sklavin zu schlagen.«
Der Mann hatte mit seinem Pferd zu tun, bis er es direkt vor Marianne zum Stehen gebracht hatte. »Sehen Sie zu, dass das Mädchen da wegkommt, Lady, wenn Sie nicht wollen, dass ich sie schlage.«
Yves blieb neben ihnen stehen. »Pearl, steig aufs Pferd«, sagte er. So wütend er war, verhielt er sich doch ebenfalls vollkommen kaltblütig. Er wandte sich an den Sklavenhändler. »Wir wollen keine Schwierigkeiten machen und Sie auch nicht aufhalten. Es scheint nur so zu sein, als hätten Sie da einen von Miss Johnstons Sklaven unter ihren Leuten.«
»Ja«, bestätigte Marianne ebenso kühl wie Yves. Sie ließ den Gewehrlauf sinken. »Der Mann ist von der Plantage Magnolias weggelaufen. Möglicherweise kennen Sie meinen Vater, Sir. Albany Johnston aus der Gemeinde St. John.«
Der Mann spuckte Tabakssaft auf den Boden. »Nie gehört.«
Pearl, die wieder auf den Beinen war, legte ihre Hand auf Mariannes Stiefel. Marianne blickte in ihre verzweifelten Augen, las die stille Bitte von ihrem Gesicht ab. Pearl liebte diesen Mann. Pearl besaß nichts, keine Zukunft, keine Hoffnung, ohne ihn. Marianne versuchte, sich diese Verzweiflung vorzustellen. Ihre eigene Einsamkeit hatte niemals auch nur entfernt an das gerührt, was Pearls Gesicht jetzt zeigte.
Sie würde ihn retten, wenn sie konnte. Das war die Botschaft in ihren Augen, als sie Pearls eindringlichen Blick erwiderte. »Steig aufs
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