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Melville

Melville

Titel: Melville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Elter
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Revolver in der Anderen
einen Bilderrahmen. Er sieht mich nicht, anscheinend bin ich für ihn
nicht da.
    „Vater?”,
er reagiert nicht. Ich sehe die halbleere Flasche Whiskey neben ihm
stehen, erkenne seine Tränen auf dem Gesicht. Ich hatte vergessen,
wie alt er aussah. Ich weiß, welcher Abend das ist. Noch vor einigen
Stunden habe ich ihn in den privaten Ruin getrieben, ihn entlassen
und seine Firma zerstückelt und verkauft.
    Als
er den Revolver langsam erhebt, bewege ich mich nicht. Ich versuche
ihn nicht aufzuhalten, beobachte ihn nur. Er legt die Mündung der
Waffe an die Schläfe, draußen prasselt der Regen an das Fenster. Er
richtet sich selbst, mit einem lauten Knall entzieht er sich seiner
Schande und ich empfinde kein Mitleid für ihn, so wie damals auch
nicht. Ich kann nicht wirklich selbst lenken, wohin ich mich bewege
und merke nur, wie es mich zu ihm zieht. Seine Leiche gebeugt über
dem Schreibtisch sehe ich, wie sein Blut langsam über das Bild
läuft. Und schließlich erkenne ich es, ein Foto aus besseren
Zeiten. Aufgenommen kurz bevor sie starb, kurz bevor alles seinen
grausamen Weg ging. Es ist das Bild aus Jonathans Regal. Meine Eltern
wirken glücklich, das ist der letzte Eindruck, den ich sehe, bevor
sein Blut das gesamte Bild verdeckt. Dann richtet sich mein Blick auf
das Fenster und in einiger Entfernung sehe ich mich selbst unter
einem Baum stehen. Mit dem Rücken zum Haus gewandt stehe ich da,
Benedict muss gerade gegangen sein. Damals hatte ich meinen Vater
durch eine andere Vaterfigur getauscht und am Ende habe ich beide
verloren. Das Weiß wird wieder heller und die Szene verschwindet.
    Ich
erwache, wie erwartet später als gestern noch. Und noch mit dem
Geräusch des Schusses im Kopf, denke ich an meine Gefangene im
Keller. Marlene dürfte auch schon erwacht sein.
    Wieso
träume ich solche Dinge? Sind es überhaupt Träume? Benedict hatte
mir damals erklärt, dass Vampire keine Träume mehr haben können
und eigentlich habe ich es auch nicht vermisst. Doch jetzt häufen
sich diese Erlebnisse.
    Ich
erhebe mich langsam aus dem Bett. Schwer legen sich meine Fußsohlen
auf das Parkett. Ich raufe mir das Haar und seufze leise. Vielleicht
muss ich mich damit abfinden, dass ich mit meinem Verhalten in
Deutschland wieder anfange zu träumen. Auch wenn ich sehr gerne
darauf verzichten würde.
    Doch
ich empfinde kein Gefühl der Reue oder Schande über die Dinge, die
um mich herum passieren und die ich aktiv mitgestalte. Diese Zeiten
sind vorbei, auch wenn mir meine Vision eben sicher zeigen wollte,
wie schwach und unterdrückt ich selbst einmal war. Doch ich werde
nie wieder der Schwache sein! Und wie heißt es so schön: Was man
mit Gewalt gewinnt, kann man nur mit Gewalt behalten.

Frauen, stark und schwach

    Als
wir uns auf den Weg ins Büro machen, fragt Liam nicht nach meinem
verspäteten Erwachen oder meinem wieder mehr dämonisch wirkenden
Äußeren. Er denkt sich seinen Teil, doch dass ich noch gar nicht
wirklich mit ihr abgeschlossen habe, weiß er nicht.

    Um
in den nächsten Nächten Zeit für Marlene zu haben, teile ich Liam
mit, dass ich mich von Zuhause aus um übriggebliebene Geschäfte in
London kümmern muss und ich dabei nicht von Kunden oder
Firmeninterna gestört werden möchte. Ich habe ihn zu einer würdigen
Führungskraft erzogen und merke, dass es ihm gut tut, die
wirtschaftliche Macht so direkt in seinem Einfluss zu spüren. In
seiner Zeit entlässt er zwei Mitarbeiter, die zu lange die
Pausenzeiten ausgedehnt haben und ersetzt sie direkt durch junges
Blut von den Hochschulen. Er ist der Meinung, dass man Jungakademiker
noch am besten nach eigenen Vorstellungen formen kann. Wie Recht er
doch hat. Sein eigenes Machtverlangen ermöglicht mir die Ruhe, die
ich für Marlene brauche. Und anscheinend hat er seine Gefühle
wieder im Griff oder schließt sie ganz weit weg, mir ist es gleich,
solange es keine Vorkommnisse wie in Rom mehr geben wird. Auch mein
kurzzeitiges Interesse, Liam vielleicht etwas besser kennenzulernen,
ist komplett verflogen. Er soll funktionieren und mich nicht in Frage
stellen, das ist alles, was ich von ihm erwarte.

    Als
ich in der zweiten Nacht zu Marlene gehe, hat sie natürlich immer
noch den Sack über dem Kopf. Heute werde ich ihr zeigen, wer
Christian wirklich ist. Ich muss etwas Blut brennen, um sie mit einem
Schwung auf einen Stuhl heben zu können. Ich belasse Sie in der
Fesselung, doch sie ist sogar fast zu schwach, aufrecht zu

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