Melville
sein?“. Zugegebenermaßen, diese Frage tut weh,
wie ein kurzer fester Griff um mein Herz. Sie versteht es perfekt,
dass Kindchenschema voll auszuschöpfen.
„Darf
ich ehrlich sein?“, frage ich sie.
„Das
ist wohl das Beste, Melville.“.
„Ich
weiß nicht recht, wie ich mich dir gegenüber verhalten soll. Ich
habe nie daran gedacht mit einem Kind agieren zu müssen und ich weiß
ja nun, dass du sehr viel älter bist, aber deine Art und deine Worte
versetzen mir zuweilen einen Schock. Ich bin nicht davon überzeugt,
dass wir erfolgreich zusammenarbeiten können.“.
„Würde
es dir leichter fallen, wenn ich versuche mich etwas erwachsener zu
benehmen?“.
„Spielst
du das ‚Kind sein‘ denn nur?“.
„Nein,
nicht wirklich. Ich bin wie ich bin.“.
„Es
ist deine Freiheit so zu sein, wie du möchtest. Wenn ich etwas beim
Sabbat gelernt habe, dann, dass man dem anderen seine Freiheit lässt.
Und du sollst das wegen mir nicht ändern müssen.“.
„Das
hast du schön gesagt, Melville. Aber wie lösen wir denn jetzt deine
Zweifel auf?“.
„Sophia
hat mit ihrem Vorschlag sicher Recht, dass wir uns unterhalten
sollten. Vielleicht, wenn ich erst einmal mehr von dir weiß, kann
ich mich ja daran gewöhnen.“.
„Das
Ritual wird uns auch näher zusammenzwingen.“.
„Ja,
aber das soll doch nicht die einzige Grundlage sein, oder?“, frage
ich sie und sie scheint überlegen zu müssen.
„Nein,
nein, wohl lieber nicht. Weißt du, für mich ist das auch nicht
einfach. Ich wurde aus Nürnberg hergerufen, ohne zu wissen was mich
erwartet. Ich habe schon einiges durchgemacht und viel gesehen, doch
nun soll ich auf einen Anfänger wie dich aufpassen, der anscheinend
nicht in der Lage ist, sich selbst zu beschützen. Dein Ego scheint
von meinem Aussehen nicht geschmeichelt zu sein und meines nicht von
der Aufgabe an sich. Da müssen wir beide durch.“.
„Ich
würde nicht so weit gehen und mich als ‚Anfänger‘ betiteln,
aber ich verstehe was du meinst.“. Dann greift sie plötzlich meine
Hand, führt mich aus ihrem Zimmer hinaus und sagt
„Komm,
lass uns reden. Irgendwo, wo wir ungestört sind.“. Und ich lasse
sie an meiner Hand, fühle deutlich die unterschiedliche Höhe von
uns beiden und beschließe, es wirklich zu versuchen. Ich leite sie
in das Billardzimmer, das auch über eine Sofaecke verfügt und deute
ihr, wo sie sich hinsetzen kann. Ich blicke auf meine Armbanduhr,
noch weniger als zwei Stunden bis zu unserem geplanten Ritual.
„Also,
Melville, erzähl doch mal ein bißchen was von dir.“. Ich überlege
bereits, welche Details wohl von Interesse sein könnten und welche
ich lieber aus eigenen Gründen nicht erzählen will.
„Ich
überschlage am besten erst einmal die wichtigsten Fakten. Vor etwa
zwölf Jahren wurde ich in London mit dieser Welt vertraut gemacht,
habe mich fünf Jahre meinem Erzeuger als Ghul zur Treue verpflichtet
und bin dann schließlich auch von ihm gezeugt worden. Anschließend
war ich drei Jahre Küken, das ist der niedrigste und immer noch
unmündige Rang eines Kainiten in der Camarilla.“.
„Ich
weiß.“, sagt sie lächelnd. Ich fahre fort
„Dann,
durch etwas missliche Umstände und erzwungenermaßen, wurde ich zum
Neugeborenen ernannt. Turbulente Zeiten, die auch den Tod meines
Erzeugers beinhalten und Hochverrat meines Clans den Prinzipien der
Camarilla gegenüber, machten mich kurz darauf zum Ancilla.“.
„Hmm,
nette Entwicklung. Ziemlich flott, oder?“.
„Ja,
ich denke schon. Aber bereits damals hatte ich Kontakt zum Sabbat,
eine gewisse Affinität war wohl immer gegeben. Ich bin aber nach
Frankfurt ausgewandert, bevor ich mich wieder mit ihm befassen
konnte. Mit meinem Absturz in den Rängen der Camarilla und dem
Vertrauensverlust meines Clans gewiss, habe ich zum Glück Sophia…
ich meine die Erzbischöfin, kennengelernt. Sie war zu dem Zeitpunkt
aber eine von drei Bischöfen von Frankfurt und ich war mir auch
nicht bewusst, wie hoch ihr Rang war. Das war eine schöne
Überraschung, kann ich dir sagen.“. Sie lächelt verständnisvoll,
sicher auch, weil meine Stimmung in das romantisch gefärbte Gefühl
zu Sophia gegenüber umschlägt.
„Eigentlich
hat sie für mich entschieden, sie entdecken zu dürfen. Nun ja, wie
auch immer. Eins führte zum anderen und seit gut einem Jahr bin ich
hier.“.
„Bist du denn glücklich?“.
„Ja,
sehr sogar.“.
„Das
ist doch schön. Trotzdem bleibst du ein Anfänger.“, sagt
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