Melville
Gesichter. Wild durcheinander fließt das Spanisch und Portugiesisch, selbst auf Annemarie vermag ich kaum einzugehen,
Die Veranstaltung beginnt mit einer Begrüßungsrede der Erzbischöfin, ich höre sie kaum, nehme sie einfach nur wahr und hänge meinen eigenen Vorstellungen nach. Wie bereits durch das Festival bekannt, hat jeder Teilnehmer seine Blutpflicht beim Eintreten in das Gebäude geleistet und ich hoffe, dass es einfach nur schnell wieder vorbei ist. Ich bin auf Annemaries Vorschlag, mich freiwillig für den Kampf zu melden, nicht weiter eingegangen und habe diese selbstmörderische Aktion auch nicht an Sophia herangetragen.
Es folgt eine Gedenkminute an den vermutlich bereits verstorbenen Bischof Augustus und danach eine weitere, diesmal flammende und kriegerisch aufhetzende Rede von Sophia. Sie scheint ganz in ihrem Element. Ich bin mir bewusst, dass, falls mein Wechsel nicht so kurzfristig stattgefunden hätte, ich womöglich genauso abgeschlachtet worden wäre wie Herr Hoffmann und Frau von Harbing.
„Bist du heute verklemmt, oder was?“, fragt mich Gregori plötzlich angriffslustig von der Seite. Die Veranstaltung befindet sich in einer kleinen Pause, in der die Kelche zur Verkostung vorbereitet werden.
„Mir ist heute einfach nicht nach sozialer Interaktion, okay?“, gebe ich schlapp als Antwort.
„Hmm, ist irgendwas?“.
„Nein, ist schon gut. Lass mich bitte einfach in Ruhe, das wird schon wieder.“. Gregori betrachtet mich eingehend, ist aber zu meinem Glück wirklich ruhig. Er wendet sich dann Elina zu, da beide flüstern, bekomme ich ihre Unterhaltung nicht mit. Doch es soll mir recht sein. Meine Augen schweifen etwas über die Besuchermenge, während ich mir Gedanken darüber mache, wann ich Zeit für James finden kann. Sicher sollte ich nicht zu lange warten.
Da sticht sich der Anblick Sophias wie eine Nadel in mein Herz. Sie steht etwas abseits auf der Bühne, vor ihr ein dunkelhäutiger Mann, muskulös, sportlich und charmant. Sie unterhalten sich beide, er flüstert ihr etwas in das Ohr und sie lacht darauf vertraut und legt eine Hand an seine Brust. Sie flirtet mit ihm! Mein Blick haftet wie erstarrt an den beiden und ich kann es nicht fassen. Sie, wo sie doch jegliche vertrauten Gesten scheut, mich in der Öffentlichkeit auf Abstand hält. Meine geliebte Sophia steht auf der Bühne, wenn auch etwas außerhalb des Fokus, und schäkert mit einem der Neuankömmlinge. Es tut weh, wie ein kalter Nebel, eisig und grausam, legt sich das Gefühl der Hilflosigkeit, der Angst über meine Seele. Sie flüstert auch ihm jetzt in das Ohr und ergeben greift er ihren Arm. Ich ertrage dieses Bild nicht länger und erhebe mich fast schon aus Reflex.
„Wo willst du hin? Es geht doch gleich weiter!“, fragt Gregori alarmiert.
„Ich… ich bin gleich zurück.“. Und mit zu Fäusten geballten Händen und dem dumpfen Rauschen meines Unvermögens im Ohr, dränge ich mich unsanft durch die sitzende Menge und strebe dem Ausgang der Halle entgegen. Ich ertrage es einfach nicht, sie so zu sehen, lachend, glücklich, mit einem anderen Mann.
Ich tue etwas, das ich seit Jahren nicht mehr getan habe. Ich gehe zu den Waschräumen, stoße unsanft die Tür auf, gehe dann in eine der Einzelkabinen, klappe den Toilettendeckel herunter und setze mich auf ihn. Ich bin allein. Ich beuge mich vor, lege das Gesicht tief in meine Hände und fühle langsam die Verzweiflung auf mich zu kriechen. Ich weiß, dass ich gleich zurück muss. Doch ich empfinde Panik, vielleicht etwas, geschüttelt durch die fremden Emotionen, Dummes zu machen. Was kann ich nur tun? Was kann ich tun, um sie nicht zu verlieren? Denn wenn sie sich von mir abwenden sollte, dann… dann…
„Da bist du ja endlich!“, sagt Gregori fast schon bemutternd, hebt eine Augenbraue und fragt
„Hast du geduscht?“.
„Nur etwas Wasser in das Gesicht.“. Ich habe meinen Kopf unter einen kalten Wasserstrahl gehalten, es musste sein. Jetzt sind meine Haare nass und liegen wie gegelt auf meinem Haupt. Sicher ist auch meine Schulterpartie nicht ganz trocken.
„Du hast Glück, dass sie hinten angefangen haben, sonst müsstest du dem Kelch jetzt hinterherlaufen.“, sagt Elina zu mir, indem sie sich vorbeugt.
„Ja, das Glück ist mir hold.“, sage ich fast schon bitter. Ich kann nicht lügen, noch ein besonders talentiertes Pokerface auflegen. Ich sollte einfach gerade nicht hier sein. Ich kann nicht zur Bühne schauen, will sie beide nicht
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