Melville
sehen, beuge mich wieder vor und knete meine Hände.
„Herrje, Melville, hast du gerade erfahren, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt?“, versucht Gregori mich stichelnd aufzuheitern. Doch ich antworte nicht, dafür tut es Annemarie stellvertretend.
„Besser nicht beachten oder ansprechen, sonst explodiert er.“. Und endlich hören sie auf mich zu analysieren, vielleicht auch, weil der große Kelch in unsere Reihe wandert. Ich kann nur hoffen, dass mich das Gesöff nicht wieder in die Dunkelheit abtauchen lässt, wie damals im Keller bei Elinas Rudelritual.
Ich ergreife ihn lustlos, stürze wie verlangt einen voluminösen Schluck der Sammelvitae hinunter und reiche ihn weiter. Meine Sicht verschwimmt leicht und meine Gliedmaßen fühlen sich taub an, es ist viel erregender als ich es jetzt gerade gebrauchen kann. Das Bouquet so fremd, muss ich meine Augen schließen, um mich auf meinen Zustand konzentrieren zu können. Als ich nach einem kurzen Moment die Augen wieder öffne, haben sich die Leute in der Reihe vor mir zu mir umgedreht und belächeln mich leise.
„Pass auf, sonst entsteht noch das Gerücht, dass dich Blut sexuell befriedigt.“. Es ist wieder Gregori und ich höre Annemarie leise kichern. Habe ich gestöhnt? Ich habe es nicht mitbekommen und ich verstehe auch nicht, warum es mich immer so exzessiv mitreißt, aber die anderen nicht. Bin ich nicht genauso ein Vampir wie alle anderen auch?
Ich sitze auf dem Bett, aber kann mich nicht zu ihr legen. Sie hat sich in einen Hauch von Nichts gekleidet, verführerisch, aufreizend. Doch ich kann mich nicht an ihre Seite begeben, immer wieder habe ich ihr erotisch lächelndes Gesicht vor Augen, ein Lächeln, das nicht für mich bestimmt war.
„Leg dich doch hin.“, sagt sie schließlich und ich höre schon ihre leichte Verwunderung in der Stimme, warum ich ihr nicht so erlegen bin wie sonst.
„Ich weiß nicht…“, ist alles, was ich antworten kann.
„Was weißt du nicht?“. Sie richtet sich auf und setzt sich hinter mich. Es wirkt alles so normal, so vertraut. Wenn ich doch nur nicht das Gefühl hätte, dass sie heute zutraulicher ist, weil sie im Grunde an jemand anderen denkt. Ein grausamer Vorwurf, aber ich werde diesen Gedanken nicht los.
„Vielleicht sollte ich im Wohnzimmer übertagen?“. Sie greift an meine Schultern.
„Aber warum denn?“. Sie versucht mich herumzudrehen, ich lasse es zu, würde mich ihr vermutlich nie verweigern, wenn sie mich nur berührt. Ich kann ihr nicht in die Augen sehen, ich schäme mich. Schäme mich für meine Abhängigkeit, für meine Unfähigkeit mich klar auszudrücken. ‚Pfad der Macht und der inneren Stimme‘, wie lächerlich ich doch gerade bin. Sie greift unter mein Kinn und hebt es an. Und der Anblick ihres grazilen Körpers, ihrer Samtlippen und dem Augenaufschlag, der Männer in Kriege oder Selbstmord treiben könnte, bringt mich ganz um meine Sprache. Sie scheint es zu bemerken, hat aber, sicher auch aufgrund des nahenden Tages, keine Lust ewig zu warten.
„Jetzt sag mir schon, was dich bedrückt, Melville!“. Und ich gehorche ihr, wie ein pawlowscher Reflex.
„Ich habe dich gesehen.“.
„Ja. Und? Wir waren heute alle bei dem Treffen.“.
„Ich meine, ich habe dich gesehen… und ihn.“. Sie beugt ihr Gesicht leicht herunter.
„Du meinst Juan?“.
„Wenn der muskulöse, dunkelhäutige Mann so heißt, ja.“.
„Und? Was ist daran so schlimm?“.
„Du hast… er hat mit dir geflirtet.“.
„Ja…?“. Ich möchte mein Kinn aus ihrem Griff wenden, doch sie lässt es nicht zu, fast schon ist die Kraft, die sie ausübt etwas unangenehm.
„Ich habe es nicht ertragen euch beide… dich so zu sehen.“.
„Du meinst, du bist eifersüchtig?“.
„Ja, das kann sein.“.
„Melville, habe ich dir nicht viel in der Vergangenheit gegeben, um deine Wünsche zu befriedigen?“.
„Doch, ja.“, muss ich eingestehen.
„Warum darf ich dann nicht meinen Spaß haben?“. Eigentlich weiß ich genau warum, aber wage es nicht zu sagen.
„Ich hatte keine Ahnung, dass wir so mit anderen agieren können.“.
„Du lügst, ich habe deutlich gesagt, dass wir nicht monogam sind. Nur Menschen sind tabu.“.
„Vielleicht hätte ich es einfach nur gerne gewusst? Du hast mich in das kalte Wasser geschmissen, während dich alle sehen konnten. Da oben, mit ihm!“. Ich werde aufgebrachter, ihre Gegenwart schafft es nicht mich zu beruhigen, wohl eher im Gegenteil. Ich entreiße ihr
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