Melville
unscheinbaren braunen Umschlag hervor.
„Es
tut mir wirklich leid... ich habe mich vergessen, ich habe nicht
gehört, dass es zu viel für dich ist.”.
„Schwachsinn!”.
Sie reißt mir den Umschlag aus der Hand und geht bereits Richtung
Aufzug.
„Du
hast es sehr wohl gehört und dann hast du mir den Mund zugehalten,
damit du weiter machen kannst. Aber so läuft das nicht. Es ist
hiermit beendet.”. Mit einem Knopfdruck öffnet sie die von innen
freigegebene Fahrstuhltür, steigt ein und hämmert auf den Schalter
für das Erdgeschoss. Sie hat Recht. Es war mir in dem Moment egal,
ob es ihr gefällt oder nicht und ich sehe sie ein letztes Mal an.
Sie greift sich schützend um den Oberkörper und meidet es, mich
noch einmal anzusehen. Dann ist die Tür zu und ich höre, wie der
Aufzug sich in Bewegung setzt. Langsam realisiere ich, was ich für
den Kitzel des Augenblickes eigentlich verloren habe. Ich werde
wütend, so zornig über mich selbst. Ich schreie plötzlich laut
auf, fühle die Kräfte in mir wachsen und greife schließlich in
einem Anfall von Wahn den Couchtisch und werfe ihn zur Seite an die
Wand. Überrascht von meinen Kräften, mache ich nicht Halt. Es folgt
die Regalwand, die ich mit mehreren wutentbrannten Schreien aus der
Verankerung in der Wand reiße und schließlich krachend zu Boden
werfe. Ich greife nach den einzelnen Elementen und werfe sie noch
einmal extra zu Boden oder von mir weg. Normalerweise wären mir
diese körperlichen Ausdrucksmittel nicht möglich, aber wenn ich
wirklich will, entspringen in mir Kräfte, die ich nicht zu
kontrollieren wage. Barfuß laufe ich über die Splitter der
Vitrinentüren und Holzreste der Korpusse, doch ich merke keinen
Schmerz. Ich fluche laut und ausgiebig, immer wieder gurgeln
unterdrückte Laute aus meinem Innersten. Bis sich der rote Schleier
um meinen Verstand lichtet und ich langsam wieder die Kontrolle
erlange. Ich knie in den Resten meines Wohnzimmers, blicke mich um
und muss mich der Erkenntnis geschlagen geben. Sie ist fort! Für
immer.
Und
durch meinen Ausraster, fühle ich mich fast ebenso durstig wie
zuvor. Ich werde noch einmal hinaus in die Nacht müssen. Und während
ich mir einen Jagdort überlege, betrachte ich mein Blut, das über
meine Hände läuft und wie sich meine Wunden langsam verschließen.
Ich sollte einfach kein menschliches Ventil haben. Benedict hatte
Recht, es ist viel zu gefährlich. Ich bin zu gefährlich.
Und
diese Erkenntnis schmerzt zutiefst.
Reumütige Rückkehr
Nach
etwas mehr als vier Stunden, kehre ich zurück. Ich habe die beiden
Anrufe von Andrew auf meinem Handy durchaus gesehen, hatte aber keine
Lust zurückzurufen. Ich drehe den Schlüssel im Schloss und trete in
mein hell erleuchtetes Haus. Heute Nacht habe ich ganz bestimmt keine
Lust mehr, mich mit Andrew ausgiebiger zu unterhalten. Ich hänge
meinen Mantel an die Garderobe und bemerke, dass niemand zu sehen
ist. Sind sie noch unterwegs?
Da
höre ich ein lauteres Geräusch aus dem ersten Stock und Vanessas
schreiende Stimme. Ich verstehe ihre Worte nicht, nur helle Aufregung
und Stimmengewirr.
Ich
eile die Treppe hinauf und folge den Geräuschen zu Daniels
Gästezimmer. Ich sehe noch, wie James, bewaffnet mit einem Eimer und
einem Waschlappen, in das Zimmer stürmt. Im Türrahmen stehend sehe
ich dann, wie Daniel am Boden liegt, krampfend und immer wieder um
sich schlagend. Vanessa ist über ihn gebeugt und versucht in
festzuhalten. Andrew steht, sichtlich überfordert, etwas abseits und
James versucht den roten Schaum von Daniels Gesicht zu wischen.
„Was
hat er?”, frage ich ruhig. Andrew bemerkt mich erst jetzt und
stürmt plötzlich auf mich zu.
„Einen
epileptischen Anfall?”, frage ich weiter verwundert. Da reißt mich
Andrew am Oberarm mit sich. Hinein in sein vorübergehendes Zimmer
und wirft die Tür hinter sich laut ins Schloss. Ich sehe ihn
herausfordernd an. Was hat er denn nun wieder?
„Wo
warst du, um Gottes Willen?”.
„Gott
hat wohl nichts mehr mit uns zu tun.“, antworte ich leicht
amüsiert. Doch da erkenne ich, wie sich Andrew nur schwer
zusammenreißen kann.
„Lass
deine Sprüche und sag einfach, warum du so spät bist. Wir haben
einen Klüngelsprecher gebraucht. Wir haben dich gebraucht. Und du
treibst dich seelenruhig in London umher!”.
„So
war es nicht, Andrew. Was ist denn nun los?”.
„Seit
zwanzig Minuten ist Daniel bereits so und wir wissen nicht, was wir
tun können! Was können wir tun, Melville?
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