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Melvin, mein Hund und die russischen Gurken

Melvin, mein Hund und die russischen Gurken

Titel: Melvin, mein Hund und die russischen Gurken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Roeder
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mitmache. Und ich werde ihn fragen, ob er mir nicht den Balu-Song beibringen kann statt immer nur dieses Klassikzeug. »Probier’s mal mit Gemütlichkeit, mit Ruhe und Gemütlichkeit«. Wenn ich die Augen schließe und mich konzentriere, kann ich Jasper spielen hören. Leise summe ich die Melodie mit.
    Einige neue Tatsachen über das Klavier:
    • Ein Klavier loszuwerden, ist schwerer, als ich dachte.
    • Wenn es eine Treppe runtersaust, gibt es unglaubliche Töne von sich.
    • Es ist jetzt auch mein Klavier.

REGEL NUMMER EINS
    Mama ist der Meinung, dass Kinder Vitamine für ihr Wachstum brauchen. Mein Bruder ist nicht dieser Meinung. »Die Kotzgurken sind voll eklig. Ich will Fischstäbchen!«, nörgelt Ruben und schiebt seine Zucchini mit der Gabel an den Tellerrand.
    »Halt die Klappe und iss«, knurre ich, obwohl ich Fischstäbchen auch besser fände. Danach hört man nur das Klappern unseres Bestecks in der Küche.
    »Ich geh nachher noch mal weg«, teile ich Ruben mit, als wir anschließend unsere Teller in die Spülmaschine räumen. »Ellie und ich wollen in die Stadt.«
    »Kann ich mit, Janina?«, fragt Ruben sofort.
    »Du bleibst hier und machst deine Hausaufgaben.«
    »Mach doch selber Hausaufgaben!«, murmelt Ruben. Gerade als ich aus der Küche gehen will, höre ich ihn sagen: »Wenn ich nicht mitdarf, sag ich Mama und Papa, was du unten in deinem Schrank versteckst.«
    Mit zwei Schritten bin ich bei ihm: »Hast du etwa in meinem Zimmer rumgeschnüffelt, du kleine Ratte?« Dann fällt mir ein, dass das vermutlich gerade die falsche Reaktion war. Ich lasse seine Schulter los. »Kannst du ruhig erzählen, ich hab nichts zu verbergen«, behaupte ich. Zu spät. Ruben hat kapiert, dass er mich in der Hand hat, und nutzt es schamlos aus. Von wegen unschuldige kleine Kinder. Sechsjährige sind Monster.
    »Ich will mit!«, stellt er klar und verschränkt seine Streichholzarme vor der Brust: »Und du sollst mir ein Märchen vorlesen. Das von dem nackigen König.«
    In dem Märchen geht es um einen Schneider, der so tut, als würde er neue Kleider aus den kostbarsten Stoffen schneidern. Aber in Wirklichkeit ist da nur Luft, und der König und sein Hofstaat laufen nackt rum. Ruben lacht sich jedes Mal darüber kaputt.
    »Ich hab keine Lust auf deine bescheuerten Märchen!«
    Ruben zieht die Nase hoch, seine Stimme klingt etwas zittrig: »Früher hat Mama mir immer vorgelesen.«
    »Früher ist vorbei«, antworte ich barsch.
    Jetzt ist Mama zu müde für so was. Zu müde zum Vorlesen, zum Kochen, zum Strengsein. Das ist so, seit sie nach der Arbeit noch putzen geht. Abends um zehn, wenn sie nach Hause kommt, sind ihre Hände rissig und rot. »Wie war’s in der Schule?«, fragt sie und lächelt, und ich kann sehen, dass sie dieses Lächeln alle Kraft kostet, die sie noch hat. »Gut«, sage ich dann immer. In solchen Momenten hasse ich Papa.
    Ruben sieht wirklich ziemlich klein aus, wie er mit hängenden Schultern dasteht und das Muster unseres Küchenfußbodens anstarrt. Als wäre er noch gar nicht sechs. Höchstens fünf oder so.
    »Na gut, dann zieh Schuhe an«, sage ich zu ihm. »Aber beeil dich. Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.«
    Ellie wartet vor den City-Arkaden. Besser gesagt: Sie posiert davor, als würde gerade jemand einen Werbespot mit ihr drehen. Wenn man Ellies stylishes Leben im Geschäft kaufen könnte, wäre die Hälfte der Mädels aus unserer Klasse schon hingerannt und hätte es sich geholt. Als sie Ruben sieht, zieht sie die Augenbrauen hoch – zwei schmale, perfekt gezupfte Halbmonde. »Warum schleppst du den Zwerg an?«
    Ellie ist Einzelkind. Die Glückliche.
    »Gut für die Tarnung«, behaupte ich. »Würde doch nie jemand vermuten, dass wir … wenn da ein Kind dabei ist, verstehst du?«
    Irgendwie sieht Ellie nicht überzeugt aus, was daran liegen könnte, dass Ruben sie mit seinem Laserstrahlenblick durchbohrt und empört verkündet: »Bin kein Zwerg!«
    »Was, wenn der Ärger macht?«
    »Der macht keinen Ärger«, stelle ich klar. Auf meinen Stoß in seinen Rücken hin nickt Ruben eifrig und umklammert die Henkel seiner Plastiktüte fester. Da drin ist sein geliebtes Märchenbuch. Falls er doch Ärger macht, wird es in der nächsten Mülltonne landen, das weiß er.
    »Gehen wir?«, frage ich ungeduldig.
    Ich mag den Springbrunnen in den City-Arkaden, wo man sich unter echten Palmwedeln hinsetzen und einen Latte macchiato trinken kann, den man sich gegenüber bei Starbucks geholt hat.

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