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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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Hinkende unterbrach ihn: »Und wenn sie dich fangen? Dich, auf den wir unsere ganze Hoffnung setzen? Nicht nur ich, ein ganzes Dorf ... «
Memeds Gesicht verdüsterte sich. »Ein ganzes Dorf? Was für ein Dorf meinst du?« Mit dem Ausdruck abgrundtiefer Verachtung spuckte er aus.
»Das ist nicht recht, Bruder«, sagte Ali ruhig. »Du darfst nicht den Stab über sie brechen. Ja, es hat den Anschein, als würden sie zum Aga halten. Das ist nur, weil sie vor ihm zittern. Aber mit dem Herzen sind sie alle auf deiner Seite. All ihre Hoffnung bist du. Ganz Değirmenoluk blickt auf dich. In den anderen vier Dörfern ist es genauso.«
Memed brach das Gespräch ab. Er stand auf, ging bergwärts, taumelnd wie ein Trunkener. Der kiefernduftende Sturm umrauschte ihn. Auch Ali der Hinkende erhob sich, verwirrt und benommen kehrte er in den Unterstand zurück.
Neugierig und mit klopfendem Herzen fragte Cabbar den Hinkenden: »Was hat dir Memed erzählt, sag, Bruder Ali!«
»Noch vor Sonnenaufgang will er in die Kreisstadt hinunter.«
»Der Mann ist verrückt geworden!« schrie Cabbar. »Man muß ihn festbinden. Wohin ist er jetzt gegangen?«
»Den Berg hinauf«, antwortete Ali der Hinkende. »Er taumelte.«
Cabbar lief ihm nach, immer bergaufwärts. Der Nordostwind knickte die Äste der Bäume. In der Luft lag der Geruch von herannahendem Schnee. Am Himmel ballten sich dunkle Wolken. Plötzlich wurde es finster. Es regnete in dicken, warmen Tropfen.
Er fand Memed auf einem verfaulten Baumstamm sitzen, unter einer Kiefer, deren mächtige Äste keine Rinde mehr trugen. Er näherte sich ihm. Memed war ganz in Gedanken versunken. Er bemerkte Cabbar nicht einmal.
Cabbar setzte sich bedächtig neben ihn. »Bruder«, sagte er, »laß das sein. Du hast es schon jedem erzählt. In Çiçeklideresi gibt es niemanden, der nicht schon davon erfahren hat. Sicher weiß man es auch in der Kreisstadt. Sie werden dich festnehmen. Laß das sein!«
Memed hob den Kopf und schaute ihn böse an. »Das hast du richtig gesagt, da hast du recht, Cabbar. Aber du mußt auch einmal mich fragen. Du weißt nicht, wie es in meinem Inneren aussieht. Zwei Hände umklammern mein Herz und drücken und drücken. Ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr leben, ohne Hatçe zu sehen. Und wenn ich sie nicht sehe, dann sterbe ich. Dann werde ich eben auf diese Weise sterben ... Du bist für mich wie ein Bruder, wirst du mir auch dieses letzte Mal deine Hilfe geben?«
»Es gibt nichts, was ich nicht für dich tun würde. Wir haben uns doch verbrüdert. Wir sind Blutsbrüder.«
»Besorg mir ein altes, zerfetztes Gewand ... Das ist alles, was ich will.«
Cabbar gab keine Antwort. Er senkte den Kopf.

22
    Eines Vormittags kam Osman der Mächtige im vollen Galopp in die Kreisstadt geritten. Das Zaumzeug seines Pferdes troff von Schaum. Auf dem Marktplatz stieg er ab, schlang sich die Zügel um den Arm. Dann durchquerte er den Basar von einem Ende zum anderen. Jedem, dem er begegnete, rief er laut und mit vergnügter Miene ein »Grüß Gott« zu.
Er verließ den Markt, wandte sich abwärts, dem Fluß zu. Vor Tevfiks Kaffeeschenke blieb er neben seinem Pferd stehen, preßte die Stirn an die Fensterscheibe. Endlich! In der Ecke saß Abdi Aga.
Osman band sein Pferd an und trat ein. Abdi Aga wurde blaß, als er ihn sah. »Grüß Gott«, rief Osman der Mächtige, drehte sich um und ging. Abdi Aga kam nicht dazu, etwas zu erwidern, und starrte mit offenem Mund hinter ihm her.
Osman der Mächtige sprengte mit verhängten Zügeln davon. Osmans Auftauchen hatte Abdi Agas ständige Unruhe, die ihn immer wieder an die Stelle seiner Hüfte greifen ließ, wo die kleine Pistole verborgen war, ins Unerträgliche gesteigert. Erregt sprang er auf und eilte zum Bittschreiber. »Achmed der Politiker«, wie er genannt wurde, war der Todfeind des tollen Fahri, des anderen Schreibers, und Ali Safa Beys Vertrauensmann. Die Nachricht vom Tode des Verzinners, dem er in, der Stadt als willfähriges Werkzeug und geschickter Mittelsmann gedient hatte, war ihm sehr nahegegangen.
Abdi Aga schoß auf ihn los. »Schreib, Achmed Efendi! Wenn die Regierung wirklich eine Regierung ist, dann soll sie es jetzt beweisen. Schreib genau, wie ich es dir sage. Die Berge wimmeln von Banditen. Unter jedem Busch hat sich eine Rebellenherrschaft aufgetan. Schreib so! Sogar fünfzehnjährige Kinder sind in den Bergen. Schreib! Dörfer brennen sie nieder. Selbst die Stadt überfallen sie. Wir sind unserer Habe, unseres

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