Memed mein Falke
sie mich fangen, dann hat es das Schicksal so gewollt.« Leidenschaftlich, mit veränderter Miene und leuchtenden Augen, fügte er hinzu: »Aber sie werden mich nicht fangen.«
»So geh, Bruder. Möge dir der Weg leicht werden!«
»Ich danke dir.«
»Drei Tage warte ich hier, im Haus von Temir dem Kurden. Wenn du in drei Tagen nicht zurück bist, dann weiß ich, daß sie dich haben.«
Memed nickte. Er erhob sich und schritt davon.
»Nun haben wir also auch dich verloren, Ince Memed«, murmelte Cabbar hinter ihm her. »So einen wie den werden diese Berge nie wieder sehen.«
Memed hatte sich aus dem Dorf Çiçeklideresi ein Paar zerrissene Bauernschuhe und die aus Baumwolle handgewebten, zerlumpten Kleider eines fünfzehnjährigen Knaben besorgt. Die Jacke war mit Granatapfelschalen rot gefärbt, die Pluderhose mochte wohl einmal weiß gewesen sein. Die eng an ihm sitzenden Fetzen ließen ihn untersetzt und sehr jugendlich erscheinen. In der Hand trug er einen dicken Hirtenstock, auf dem Kopf hatte er eine abgetragene Kappe. Pistole und Munition hatte er sich unter den Pluderhosen um die Beine geschnallt. Es würde nicht leicht sein, ihn zu erkennen.
Er schritt schnell aus, ohne etwas um sich herum zu beachten. Seine Sinne schienen im leeren Raum zu schweben. Die Außenwelt war für ihn erloschen.
Kurz vor Mitternacht langte er am Stadtrand an. Die Hunde heulten. Was sollte er tun? Wenn er jetzt in die Stadt ging, würde er keine Herberge finden. Womöglich würden sie ihn festnehmen. Aus der Tiefe kam das Klappern einer Mühle. Er drehte sich um und wandte sich in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Es dröhnte so laut, daß einem bald Sehen und Hören verging. Aus der Ferne drang ihm warmer Mehlgeruch in die Nase.
Morgen war Freitag, Besuchstag im Gefängnis. Der Gedanke an Hatçes Mutter verursachte ihm Unbehagen. Seit Abdi Aga sich in der Kreisstadt niedergelassen hatte, kam die alte Frau jeden Freitag, um Hatçe Neuigkeiten über Memed zu erzählen - oder das, was sie darunter verstand. Sie erzählte ihr die unglaublichsten Geschichten von ihm, in denen er in immer besserem Licht erschien. Die Ereignisse der Ackerverteilung und des Abbrennens der Distelfelder wurden in ihrer breit ausgeschmückten Darstellung zu einem wahren Heldenlied. »Memed ist ein stattlicher Mann geworden«, sagte sie, »in die Höhe geschossen ist er, wie ein Minarett ... «
Hatçe war vor Freude und Stolz wie im siebenten Himmel. Die Gefängniszelle wurde ihr zum Paradies. Immer wieder warf sie sich Iraz in die Arme und bedeckte sie mit Küssen. Iraz freute sich nicht weniger. Seit Memed sich in Çiçeklideresi festgesetzt hatte, war alle paar Tage Nachricht von ihm ins Gefängnis gelangt. Sogar Geld hatte er ihnen zu schicken verstanden.
Draußen waren Mehlsäcke dicht nebeneinander aufgereiht. Die vier schweren Mühlsteine drehten sich und verstreuten dabei Mehlstaub nach allen Richtungen. Jetzt hörte er auch das Plätschern des Wassers. Etwa fünfzehn Bauern saßen im Halbkreis um ein Feuer. Als Memed näher trat und sein »Grüß Gott« bot, machten sie ihm schweigend Platz. Ohne sich weiter um ihn zu kümmern, setzten sie ihre Gespräche über Felder, Ernten, über Armut und Tod fort. Einer erzählte von einem Raubüberfall bei Deveboynu. Der Räuber sei Ince Memed gewesen, sagten ein paar andere. Von Memed kamen sie auf die Sache mit der Feldverteilung. So war es überall, wo sein Name erwähnt wurde. Ein alter Mann wunderte sich: »Schön, also hat er die Äcker an die Bauern verteilt, aber was hatte der verrückte Hundesohn im Sinn, als er das Distelfeld anzünden ließ?« Daraufhin waren die kühnsten Erklärungen zu vernehmen.
Memed mußte den Atem anhalten. Innerlich fluchte er über so viel Unverstand, dann aber überkam ihn ein Lachen. Was wußten diese Çukurova-Leute denn von Graudisteln und welche Plage sie bedeuteten.
Schließlich streckten sich die Männer zum Schlafen aus. Memed tat es ihnen gleich.
Als er wieder erwachte, war es heller Tag. Einer der Bauern stand neben ihm. »He, Junge! Es ist mitten am Vormittag, nun laß es aber genug sein. Liegst den Pferden und Eseln zwischen den Beinen herum! Steh jetzt auf!« Benommen erhob er sich, dann marschierte er beinahe im Laufschritt zur Stadt zurück. Auf dem Basarplatz hämmerte der blinde Haci frohgemut auf seine Hufeisen ein, wie damals. Er sang dazu das Lied von Kozanoğlu. Der Dampf von Kebab quoll aus den Kebabstuben. Bäuerinnen in schwarzen
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