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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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Lebens nicht mehr sicher. Schreib das auf! Sogar die Frauen tragen Waffen. Offener Aufruhr herrscht im Land. Die Kreisstadt hat sich selbst ihre Obrigkeit aufgestellt. Das Gesetz steht nur noch auf dem Papier. All das schreib! Das Militär muß anrücken und das Gesindel bis auf die Wurzel ausrotten.« Das stets düstere Gesicht des seltsamen Achmed Efendi umwölkte sich noch mehr. Er nahm seinen schwarzen Filzhut vom Kopf, legte ihn neben sich auf den Tisch, zog ein Taschentuch heraus und trocknete sich die Stirn.
»Das soll ich schreiben, was du da gesagt hast?« brummte er.
»Genau das, Buchstaben für Buchstaben. Ein Regiment von diesen Gendarmen ist nichts gegen Memed, ganz zu schweigen von den anderen. Dieser Ince Memed vertreibt mich von Haus und Hof und verteilt meine Felder an meine Tagelöhner! Meine fünf Dörfer ... Ich kann mich nicht einmal mehr in der Stadt zeigen. Ich habe ein Haus gegenüber der Gendarmeriestation gemietet. Die Fenster habe ich mit Sandsäcken verbarrikadiert, gegen Gewehrkugeln, den Kamin habe ich gegen Bomben zumauern lassen. Neulich sind sie gekommen, um mich vor den Augen der Gendarmen umzubringen. Wenn wir nicht gewarnt worden wären, dann hätten sie das Haus mit Dynamit in die Luft gesprengt! Ince Memed hat verkündet, die ganze Kreisstadt in die Luft zu sprengen. So, das schreib!«
»Aber lieber Freund!« sagte Achmed Efendi, »stell dir einmal vor, wir würden das wirklich schreiben; sie hauen mir ja die Hand ab! Und was würde aus dem guten Namen der Stadt? Der Verzinner hat zwar daran glauben müssen, aber es gibt doch immer noch einen Ali Safa Bey. Der sorgt bald dafür, daß wieder eine neue Bande auf die Beine kommt. Es wäre ihm bestimmt nicht recht, wenn du so etwas an die Regierung schreiben würdest.«
Abdi Aga schäumte. »Schreib, was ich dir gesagt habe!«
»Das kann ich nicht.«
»Schreib, sage ich, Bruder, schreib!«
»Es geht nicht.«
Wütend stand Abdi Aga auf »Also du willst nicht? Gut, dann lasse ich es von Fahri Efendi schreiben.«
»Meinetwegen laß es schreiben, wo du willst. Es wird nicht zu deinem Vorteil sein.«
Abdi Aga ging geradewegs zu Fahri dem Verrückten. Fahri der Verrückte hörte seine Tritte schon von weitem und hob den Kopf langsam vom Tisch.

23
    Über Çiçeklideresi ragt der steile, glatte und moosbewachsene »Falkenfelsen« in den Himmel. Weit oben, fast auf seiner Spitze, entspringt eine Quelle, die zwischen grünen Büschen verborgen ist. Um die »Falkenquelle« herum wächst die aromatisch duftende Poleiminze. Aus dreifacher Pappelhöhe stürzt das Wasser den Felsen hinab, fast könnte man glauben, es brodele unmittelbar aus der glatten Steinwand hervor.
    Der Falkenfelsen kommt in vielen Liedern und Balladen vor, die weitum gesungen werden. Sein Name geht auf eine Sage zurück, die von altersher mit ihm verknüpft ist. In alter Zeit lebte hier herum ein Jüngling, der ein großer Falkenliebhaber war. Er wußte, daß die Falken in den Spalten der Felswand nisteten. Eines Tages, zur Zeit des Ausschlüpfens der Jungvögel, stand ihm der Sinn danach, einen jungen Falken zu fangen, um ihn abzurichten. Aber es war unmöglich, über die glatte und steile Wand an das Nest heranzukommen. So band der Jüngling ein langes, starkes Seil am dicksten Baum des Gipfels fest und ließ sich daran herunter, bis er an ein Falkennest gelangt war. Er nahm ein Junges heraus und barg es an seiner Brust. Aber die Falkenmutter hatte ihn beobachtet, flog wütend herbei, schlug mit ihren kräftigen Schwingen gegen das Seil und zerschnitt es wie mit einem Schwertstreich. Der kühne Nesträuber stürzte in die Tiefe. Seither heißt diese Klippe der »Falkenfelsen«.
    Ince Memed, der schon mitten in der Nacht aufgebrochen war, ruhte sich nun am Fuße der Klippe aus. Einmal knackte es hinter ihm im Gebüsch. Er wandte sich um. Cabbar stand da, schweißüberströmt, und sah ihn an. Memed blickte schweigend vor sich auf den Boden.
    Cabbar rührte sich eine ganze Weile nicht, dann streckte er die Hand nach Memed aus, der weiter vor sich hinstarrte.
    »Bruder!« sagte Cabbar leise. Seine Stimme zitterte. Widerstrebend wandte Memed sich um.
    »Gib es auf!«
    Memed schüttelte vorwurfsvoll den Kopf »Wenn nicht einmal du meinen Schmerz verstehst, Bruder Cabbar, dann ist es schon besser, zu sterben.«
    »Ich verstehe ja deinen Kummer, Memed! Aber die Zeit dafür ist noch nicht gekommen ... «
    »Versuche nicht, mich von meinem Weg abzubringen! Ich gehe zu Hatçe. Wenn

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