Memed mein Falke
Memed in den Himmel gefahren ist, er findet ihn.«
»Der riecht einen Menschen noch nach drei Tagen auf dem Weg!«
Sogar Hösük die Runkelrübe war da, der Einzelgänger, der sich nie unter die Menge mischte, der nur selten ins Dorf kam. Er kannte Ali den Hinkenden schon lange. Die beiden hatten jahrelang Seite an Seite gepflügt. Hösük wußte, was für ein unvergleichlicher Spurensucher Ali war. Er hatte mit angehört, daß sich Ali der Hinkende dafür verbürgt hatte, Memeds Spur zu finden. Er mußte mit ihm sprechen, ohne daß es Aufsehen gab. Ali würde seine Worte nicht in den Wind schlagen. Zu lange hatten sie Brot und Salz zusammen gegessen.
Als sein Lob in aller Munde war, hörte Ali mit Wohlgefallen zu. »Mit Allahs Segen und Eurer Hilfe, Aga ... «, spreizte er sich in gespielter Bescheidenheit. Es hätte ihn gleichgültig gelassen, wenn sie gesagt hätten, Ali der Hinkende sei ein tapferer Mann oder einen solchen Mann wie Ali den Hinkenden gebe es in diesen Dörfern kein zweites Mal. Das einzige, woran ihm lag, war, als unvergleichlicher Fährtensucher anerkannt zu werden.
Als sich Ali von der Menge löste und den Weg zu Hatçes Haus einschlug, um dort die Fährtensuche aufzunehmen, holte ihn der alte Hösük ein.
»Nur auf ein paar Worte, Ali. Warte einen Augenblick.« Ali der Hinkende umarmte ihn erfreut.
»Hösük, Bruder! Ich wollte dich schon lange einmal wiedersehen - eben in diesen Tagen wollte ich bei dir hereinschauen. Wie steht es? Sobald ich mit dieser Arbeit fertig bin, komme ich zu dir und bleibe für den Abend. Aber erst muß ich den Burschen aufspüren. Wird nicht schwerfallen. Was heißt es schon für mich, jemanden zu finden?«
»Geh hinter mir her«, sagte Hösük, »es braucht uns keiner miteinander reden zu hören. Der Aga traut mir nicht.«
Ali der Hinkende wunderte sich über Hösüks Geheimnistuerei, aber er tat, wie ihm geheißen. Der Regen, der kurze Zeit ausgesetzt hatte, begann aufs neue, in großen Tropfen zu fallen.
Vor Abdi Agas Haus wurde ein Pferd gesattelt. Es war für Ali bestimmt. Zu Pferd eine Spur verfolgen? Das mochte seltsam scheinen, aber es war bekannt, daß Ali seine Fährte aufspürte, selbst wenn er mit geschlossenen Augen ritt.
Im Schatten eines Hauses blieb Hösük stehen. Als Ali neben ihm angelangt war, redete er in vorwurfsvollem Ton auf ihn ein:
»Komm, setz dich zu mir, Bruder. Sag mir, wie kannst du es über dich bringen, den armen Jungen dem Abdi auszuliefern? Hat es einen besseren Mann gegeben als Ibrahim? Er wird sich im Grab umdrehen, wenn du seinem einzigen Kind ein Leid geschehen läßt! Ich weiß, daß du ihn findest, das ist so sicher, als wenn er schon in deiner Hand wäre. Denke daran, Ibrahim war dein Freund! Du weißt, was Abdi dem Jungen tun wird, und du wirst es dann ihm getan haben. Soll ich dir was sagen, Ali? Du führst sie heute in die Irre, dann kann Memed sich retten. Als Kind hat er sich einmal nach Kesme zu Süleyman geflüchtet. Alle glaubten damals, er sei nicht mehr am Leben. Ein halbes Jahr danach - es kann auch ein ganzes Jahr gewesen sein - traf ich ihn und sagte seiner Mutter, daß er lebte. Das war damals. Alle hatten sie ihn totgeglaubt. Er wird es auch diesmal fertigbringen, sich irgendwo zu verkriechen. Aber du mußt sie auf eine falsche Fährte führen, hörst du, Bruder? Wer weiß, wo die armen Kinder jetzt sind, wo sie vor dem Höllenwetter Unterschlupf suchen! Laß die Finger von dieser schmutzigen Sache, Ali.«
Ali der Hinkende hatte während Hösüks Rede die Farbe gewechselt. Für ihn bedeutete es alles, für ein großes Dorf die Hauptperson zu sein, eine Fährte aufzuspüren, die Flüchtigen zu finden. Er hatte nur stumm zu Boden gestarrt, als Hösük sprach, und er schwieg auch jetzt noch.
Hösük fuhr fort: »Ali, Bruder, jetzt kauern sich die Ärmsten aneinandergeschmiegt und zitternd unter einen Baum, während sich die Wasserfluten über sie ergießen! Sie haben solche Angst, daß es einen Stein erweichen muß! Der Wolkenbruch hört ja überhaupt nicht mehr auf. Wenn Allah sich ihrer erbarmt möge er dem Regen Einhalt gebieten! Ali, es sind verzweifelte Verliebte! Du weißt, wer Liebenden Böses antut, dessen Hand wird verdorren. Wie ein Baum, aus dem die Säfte ziehen. Führe sie einen falschen Weg, Ali, und eine Stätte im Paradies wird dir in dieser Stunde bereitet werden! Gib mir dein Wort, Ali!«
Der andere sagte unter Hösüks zuständigen Blicken kein Wort. Der Alte ergriff seine Hand und begann von
Weitere Kostenlose Bücher