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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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Angst.«
    Lange schwiegen sie. Der Regen schien etwas nachzulassen. Das Feuer wuchs allmählich, seine Wärme teilte sich auch den Felsen daneben mit. Das Erdreich im Umkreis war trocken geworden. Hatçe zog ihr inzwischen getrocknetes Hemd wieder an, glitt aus den Beinkleidern. Zum ersten Mal sah Memed ihre wohlgeformten Beine, in denen die ganze Kraft ihrer Jugend war.
    »Hatçe«, sagte er wieder, mit der gleichen Stimme.
    »Ich habe Angst, Memed.«
    Er packte sie mit einem heftigen Griff am Handgelenk, umschlang die Widerstrebende mit aller Kraft, küßte sie. Sie fühlte ihren Widerstand schwinden. Er zog sie mit sich an den Fuß des Felsens. Mit geschlossenen Augen, die vollen Lippen halb geöffnet, spürte sie, wie die Kraft aus ihren Händen, ihren Beinen wich.
    »Nicht, Memed, ich habe Angst«, stöhnte sie leise.
    Die hochschlagenden Flammen des Feuers züngelten auf sie zu, leckten an den Felsen empor.
    Als sie endlich wieder zu sich kamen, wollte Memed die wie betäubt Daliegende emporziehen. Sie richtete sich halb auf, dann sank sie wieder zurück. Die Furcht in ihr war verflogen, aber sie fühlte sich wie zermalmt. Erst nach einer Weile stand sie auf Die Erde klebte ihr an den Beinen, am Rücken und an den Hüften.
    Hatçe war zur Frau geworden.

9

    Die Mutter erhob sich noch vor der Dämmerung, überzeugte sich, daß Hatçe in ihrem Bett lag. Aber als es Morgen geworden war und das Mädchen nicht zum Vorschein kam, stockte ihr Herzschlag in jähem Schrecken. Sie eilte an das Bett, hob die Decke und erstarrte, wie vom Blitz getroffen. Hatçe hatte ein Kissen der Länge nach unter die Decke gelegt, um ihre Eltern zu täuschen. Die Frau stand wie betäubt. Erst als ihr Mann sie rief, ließ sie das Kissen fallen.
In den Taurusdörfern herrscht ein seltsamer Brauch: Wenn einem die Tochter entlaufen oder ein Pferd, ein Ochse oder ein Huhn gestohlen worden ist, dann stellt er sich vor seine Haustür und verflucht stundenlang aus Leibeskräften das ganze Dorf. Es stört ihn nicht im geringsten, daß ihn keiner beachtet. Dann, wenn sich die erste Wut des Fluchenden gelegt hat, kann die Angelegenheit vernünftig besprochen werden.
»Mann, das Mädchen ist fort!« rief die Frau. »Was machen wir nur?«
Der Mann stieß einen überraschten Freudenschrei aus. »Allah. sei tausendmal Dank! Es hat mir keine Freude gemacht, sie Abdis glatzköpfigem Neffen zu geben. Ist mir sauer genug angekommen, nichts dagegen tun zu können. Allah sei gepriesen ... «
»Sei still, um Himmels willen! Wenn dich einer hört! Abdi Aga denkt am Ende, wir hätten sie selbst entführen lassen ... Die Haut würde er uns abziehen!«
Sie trat vor die Tür und begann mit dem Geheul, das der Brauch verlangte. Es kam ihr nicht von Herzen, und die Verwünschungen wollten ihr nicht so recht von den Lippen. Sie schrie nicht einmal richtig, während ihr Körper hin und her schaukelte: »Weh mir Unglücklichen! Weh dir, Tochter, die du mir Schande gemacht hast! Im Elend sollst du deine Tage hinbringen, die Augen sollen dir auslaufen! Allah möge dich verderben!«
»Hör auf mit dem Unfug! Komm herein!« rief ihr Mann. »Was ist denn schon geschehen? Sie ist auf und davon mit dem, den ihr Herz gewählt hat. Laß das dumme Geschrei; geh zu Abdi Aga und sage ihm, was passiert ist, aber verfluche nicht dein eigen Fleisch und Blut!«
In ein schwarzes Kopftuch gehüllt, machte sie sich auf den Weg. Abdi Aga war erstaunt, sie zu sehen. »Ah, du, Schwester? Komm, setze dich zu mir.«
Die Frau begann zu weinen. Abdi Aga bemerkte nun auch das schwarze Tuch. Ein Schreck durchfuhr ihn. »Was ist geschehen, Schwester?«
Sie antwortete nicht, ließ nur den Kopf hängen und heulte noch lauter.
»Sprich endlich!« schrie er zornig. »So mache doch den Mund auf, du Plage Allahs! Ist vielleicht etwas mit unserer Braut?«
»Ach, Herr ... «, schluchzte sie nur, ohne ein Wort herauszubringen.
»Weib! Wirst du endlich den Mund aufmachen, anstatt mich auf die Folter zu spannen! Allah soll dich heimsuchen!«
Sie wischte sich die Augen. »Sie ist fort. Sie hat ein Kissen unter die Bettdecke gelegt. Seit gestern abend muß sie schon fort sein ... «
Abdi Aga brüllte in ohnmächtiger Wut: »So etwas muß Abdi Aga geschehen! Abdis Schwiegertochter brennt mit einem Tagelöhner durch!«
Er drehte sich zu der Frau, gab ihr einen heftigen Fußtritt. »Niederbrennen werde ich dieses verfluchte Dorf. Niederbrennen, daß nichts mehr davon übrigbleibt!«
Dann verhielt er einen

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